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Alpenländer auf Kundenfang

Skihallen im Flachland sollen für Nachwuchs auf Naturpisten sorgen

  • Günter Schenk
  • Lesedauer: 4 Min.
Sekunden nur währt die Abfahrt, ein schneller Schuss 300 Meter bergab. Jahrzehnte aber soll er nachwirken. Das jedenfalls hoffen die Bergbahnen in der österreichischen Ski-Hochburg Sölden, die in Bispingen weit vor den Toren Hamburgs zum Winterauftakt eine der modernsten Skihallen Europas eröffnet haben. Einen riesigen Ski-Dom, dessen bis zu 100 Meter breite Pisten das ganze Jahr über 35 Zentimeter Schnee garantieren sollen. Söldens Bergbahnen, die sich schon bei ähnlichen Projekten in Holland und Dänemark engagiert haben, wollen mit der Skihalle auf dem umkämpften Deutschlandmarkt neue Kunden gewinnen. »In Holland und Dänemark«, sagen die Sölden-Touristiker, »ist die Rechnung aufgegangen.« Ähnliche Ziele verfolgt Österreich auch in Nordrhein-Westfalen. So rührt das Salzburger Land in Neuss mit vielen Veranstaltungen kräftig die Werbetrommel, engagiert sich Kärnten in Bottrop. Hintergrund der Marketing-Mühen ist der Kampf um neue Winterurlauber. Um künftige Kunden, die Betten, Skilifte und Bergbahnen auf Dauer auslasten sollen. Denn allein in Österreich und der Schweiz sind über eine Million Beschäftigte auf die Schneehungrigen angewiesen, garantieren die Winterurlauber Einnahmen von mehr als 20 Milliarden Euro jährlich. Gut 6000 Lifte und Seilbahnen gilt es in den Alpenländern inzwischen zu amortisieren. Neun von zehn deutschen Winterurlaubern fahren zum Wintersport noch immer in die Alpen, zwei Drittel davon nach Österreich. Doch um die Gunst der Schneehungrigen kämpfen Dutzende Wintersport-Regionen inzwischen auf scheinbar verlorenem Posten. Orte unter 1600 Höhenmetern, so die Prognosen der Meteorologen, werden angesichts des Klimawandels schon in wenigen Jahrzehnten keine Schneesicherheit mehr gewähren können. Noch mehr Sorgen aber macht den Wintersportregionen der demografische Wandel. Rückt in den nächsten Jahrzehnten doch eine Generation ins Rampenlicht, für die Wintersport noch immer exotisch und teuer ist. Kinder Schweizer Eltern, so ergab eine Umfrage im Auftrag von Schweiz-Tourismus, fuhren zu 86 Prozent Ski oder Snowboard. Waren die Eltern aber Ausländer übten nur noch 57 Prozent der Kinder eine der beiden Sportarten aus. Noch drastischer ist das Bild in Deutschland. Für die Alpenländer gilt es deshalb verstärkt, die künftigen Urlauber überhaupt zu erreichen. Denn in Quellmärkten wie Deutschland, formuliert es der Innsbrucker Tourismusforscher Hubert Siller, gibt es eine »rückläufige Winter(sport)affinität«. Und selbst in der Schweiz und Österreich schwindet das Interesse. Die Lust, überhaupt in den Schnee zu fahren, könnte der Klimawandel weiter dämpfen. »Wenn es am Wohnort nicht mehr schneit«, wollen Schweizer Touristikforscher herausgefunden haben, »fährt man auch nicht mehr Ski«. Bislang waren Skifreizeiten und Klassenreisen ein guter Markt, um die Kunden von morgen als Schneemenschen zu gewinnen. Doch auch die sind weniger geworden, seit sie der Staat wie in Österreich aus Geldmangel nicht mehr so wie früher fördert. Auch in der Schweiz gingen die schulischen Skifreizeiten in den letzten Jahren um mehr als zehn Prozent zurück. Ganz zu schweigen von Deutschland, wo viele Schulen ihre Klassenfahrten aus Kostengründen in den Sommer verlegt haben. Neue Initiativen also sind gefordert, um den Ski-Nachwuchs zu ködern. Einige Regionen werben auf den Packungen von Süßigkeiten für den Spaß im Schnee, andere bieten Neulingen kostenlose Übungslifte im Tal oder offerieren Kindern Skipass und -unterricht zum Nulltarif. Vor allem aber sollen Skihallen künftige Wintersportler requirieren. So belegten im nordrhein-westfälischen Neuss zuletzt fast 15 000 Schüler einen Ski-Kurs. Die Frage aber bleibt, ob die Kinder am Ende den Weg aus den modernen Hallen in die Alpen finden. »Ich bin mir sicher«, unkte Niedersachsens Sportminister bei der Eröffnung des neuen Ski-Doms vor den Toren Hamburgs, »dass hier für viele Wintersportler eine echte Alternative zu den mehrere hundert Kilometer entfernten Skigebieten entstanden ist«. Ähnlich denken auch die Betreiber eines Snowfunparks, der zum Jahresende seine Tore im mecklenburgischen Wittenburg öffnete. 30 000 Quadratmeter Pistenfläche locken hier mit blauen und roten Abfahrten. »Wir bringen die Alpen in den Norden«, ist das Motto der Betreiber der Anlage, die zudem über eine Saunalandschaft sowie sechs Restaurants und ein Hotel verfügt. Unter Umständen könnte der Kampf um neue Wintersportler in gigantischen Skihallen so zum Pyrrhussieg der Marketing-Strategen werden. Denn haben sich die Kunden erst mal an die künstlichen Bergwelten gewöhnt, fürchten manche, entfällt der Zwang zur Reise in die Alpen. Schneeerlebnis und Naturgenuss, haben Wissenschaftler herausgefunden, sind zumindest für Kinder immer weniger Anlass, Wintersport zu treiben. Dreimal häufiger nennen sie »Spaß« als Motivation - und den gibt es auch in der Skihalle.
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