Meisterstück

Inge Jens wird 80 Jahre alt

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 3 Min.
Um Thomas Mann ging es schon früh. Der 30. Geburtstag lag noch nicht lange zurück, als Inge Jens im Marbacher Archiv über Briefen saß, die der Schriftsteller zwischen 1910 und 1955 dem Kölner Literaturhistoriker Ernst Bertram schickte. Die Arbeit war mühselig, die Aufklärung der Namen, Zusammenhänge und Anspielungen nur mit Hilfe anderer zu bewältigen. Der wichtigste Helfer, natürlich, war Katia Mann. Ihr verdankte sie auch, »dass mir die manchmal nicht eben anregende editorische Kleinarbeit am Ende doch Spaß gemacht hat«. Das Buch, erst die zweite Briefsammlung nach einem schmalen Band mit den Schreiben an den Philologen und Kulturhistoriker Paul Amann, erschien 1960 bei Günther Neske in Pfullingen, dort, wo auch Walter Jens publizierte. In der Welt des Romanciers und Erzählers ist sie seitdem zu Hause. Die größte Herausforderung aber kam erst noch. Plötzlich, im August 1982, starb Peter de Mendelssohn, der wohl beste Kenner Thomas Manns und Herausgeber der Tagebücher. Fünf Bände waren erschienen, sie hatten das Unternehmen bis ins Jahr 1943 vorangetrieben. Inge Jens übernahm nun den Rest, noch einmal fünf Bände. Man muss sie sehen, diese Bücher, im Kommentarteil lesen, der im Umfang den Text des Autors weit übertrifft, um sich wenigstens ein ungefähres Bild von der Leistung zu machen, die in diesen vielen hundert Seiten steckt. Inge Jens hat ihre Aufgabe mit ungeheurer Sachkenntnis und Bravour, mit immensem Fleiß und staunenswertem Spürsinn, so penibel wie beispielhaft erfüllt. Die fünf Tagebuch-Bände sind ihr Meisterstück geworden. Thomas-Mann-Leser wissen es. Und die anderen? Mancher nimmt Inge Jens nur wahr, wenn sie neben ihrem Mann erscheint, als Ehefrau. Das ist sie ja seit 1951 auch, umsichtige und couragierte Familienmanagerin wie einst Katia Mann, für alles zuständig - Mann, Haus, die alltäglichen Dinge des Lebens. Auch das Auto chauffiert natürlich sie. Es macht ihr nichts aus. Es entspricht ihrer Vitalität, die sie sich bewahrt hat, ihrem Selbstverständnis und Temperament, ihrer Fürsorge. Auch um Hans Mayer, den Tübinger Nachbarn, hat sie sich liebevoll gekümmert. Bei alledem achtet sie schon drauf, dass genügend Zeit bleibt, das eigene Arbeitszimmer zu nutzen. Denn Arbeit gab's immer genug. Sie betätigte sich als Herausgeberin, schrieb ein fundamentales Buch über die Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste (»Dichter zwischen rechts und links«, 1971), veröffentlichte Aufsätze, verfasste schließlich, gemeinsam mit Walter Jens, die Katia-Mann-Biografie, die ein Bestseller wurde, danach noch die Lebensgeschichte der Hedwig Pringsheim. Zuletzt, 2006, kam ein Archivfund dazu: die Tagebücher, die Katias Mutter 1907/08 von einer Reise nach Argentinien und Chile mitbrachte, ergänzt um Briefe. Thomas Mann hat das alles ursprünglich im »Felix Krull« verarbeiten wollen. - Kürzlich, in Potsdam, las Walter Jens, von ihr unterstützt, Texte zu Mozart. Sie war, wie immer, hellwach, sprühte vor Charme und Energie. Am Sonntag wird sie 80. Es fällt schwer, das zu glauben.
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