Ungeschminkt

Fassbinder am Deutschen Theater Berlin

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.
Der Champagner wird aus Schuhen getrunken. Durchs farblose Bild, welches das Leben hier abgibt, staken in regelmäßigen Abständen farbige Kleider, in denen Puppen stecken, die als Menschen durchgehen möchten. Models also. In den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin (Box und Bar) inszenierte Philipp Preuss »Die bitteren Tränen der Petra von Kant«, ein Stück von Rainer Werner Fassbinder. Eine Aufführung auf dem Catwalk (Bühne: Giulia Palucci) - nicht nur Theater, auch Mode wird geboten (von Designer Bernhard Willhelm). Modemacherin Petra von Kant: eine Verkäuferin von Oberfläche und selber an alle Oberflächen verkauft. Die Kant holt sich ein Model ins Bett - Birgit Unterweger gibt dieser Karin robuste Sinnenhaftigkeit und durchtriebenen Aufstiegswillen. Die Kant hält sich die Tochter vom Leib - Elzemarieke de Vos liest entnervend lange Briefpassagen aus einem Roman von Bret E. Ellis und liefert so den zeit- wie generationenübergreifenden Bestand des glänzend Seichten, girrend Süchtigen, berauscht Stupiden. Die Kant kanzelt ihre Mutter ab - Ursula Staack, in komischer Trachtenzwangsjacke, mit winzig-biederem Handtäschchen, deutet die Tragik einer unpassenden sozialen Herkunft an. Simone von Zglinicki als Petras Freundin: eine prächtige Matrone des (Ehe-)Män-ner-Verachtungs-Kabaretts. Man seht hin und sieht gleich durch. Ein kurzer, sehr geradlinig, fast einschichtig entblößend angelegter Abend. Barbara Schnitzler als Petra von Kant gibt ihm die zentrale, härtende Kontur. Da ist schmerzende Bestürzung, die sich zur Kälte diszipliniert. Ganzkörperkopfweh. Und unbefriedigtes Liebesverlangen, das stirbt, um als nervöse Machtgier aufzuerstehen. Lange liegt Schnitzlers Petra gegen Ende auf dem Boden, die weiße Creme der ungeschminkten Wahrheit wie ein Leichentuch im Gesicht. Ohne Maske friert dieses Gesicht. Auf einem Laufsteg liegt man nicht, man lügt, und man nennt die Lüge Schönheit und den Laufsteg einen Lebensweg. Wie sich die Kant wieder hochrappelt, macht den Absturz nur offensichtlicher. Und erhebt das Inbild der Demütigung zur Siegerin über die Welt: die Bedienstete Marlene. In ihrer stummen Rolle entwickelt Valery Tscheplanowa eine unschuldig lächelnde Grazie der Versklavung, die im Gedächtnis bleibt. Sie geht mit ganz eigener Souveränität über den Steg, lässt sich wie ein Schoßhündchen kraulen, nimmt peitschende Befehlstöne als Liebkosung, greift am Ende zum Mikrofon, um aus ihrem Leben zu erzählen, lässt das Mikrofon - lächelnd - sinken, bleibt weiter stumm: Revolte gelingt nur, wenn man sie im Traum bewahrt; die Gegenwelt ist ein Fantasieort und nur in der Vorstellung ein geschützter Ort. Außen leiden, innen triumphieren. So antwortet Marlene auf Petra von Kant, die im Inneren daran leidet, nach außen eine...

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