Quanten, Bytes und Bomben

Vor 50 Jahren starb der Mathematiker und Computerpionier John von Neumann

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 3 Min.
Schon als Sechsjähriger konnte er ohne Mühe achtstellige Zahlen im Kopf dividieren. Er verfügte über ein fotografisches Gedächtnis und war mithin fähig, Bücher nach einmaligem Lesen Wort für Wort wiederzugeben, und das noch nach Jahrzehnten. Die Rede ist von einem Mann, den die Öffentlichkeit kaum kennt. Unter Wissenschaftlern jedoch gilt er als einer der größten Denker des 20. Jahrhunderts: John (János) von Neumann, der am 28. Dezember 1903 in Budapest das Licht der Welt erblickte. Der Sohn eines jüdischen Bankiers besuchte das deutschsprachige Lutheraner-Gymnasium und verfasste bereits mit 17 seine erste mathematische Abhandlung. Auf Wunsch seines Vaters jedoch studierte er nicht »brotlose« Mathematik, sondern Chemie, in Berlin zunächst und dann in Zürich. Nach Abschluss seines Chemiestudiums erwarb er 1926 mit einer grundlegenden Arbeit zur Mengentheorie an der Universität Budapest den Doktortitel. Anschließend ging er als Rockefeller-Stipendiat nach Göttingen. Am Institut des berühmten Mathematikers David Hilbert vertiefte sich von Neumann mit Begeisterung in die noch junge Quantenmechanik, deren mathematische Grundlagen er 1932 in einem bis heute gültigen Standardwerk zusammenfasste. Schon vor Beginn der Naziherrschaft in Deutschland hielt er Gastvorlesungen in den USA. 1933 wurde er Professor für Mathematik am »Institute für Advanced Study« in Princeton, wo unter anderem Albert Einstein zu seinen Kollegen gehörte. Gemeinsam mit einem anderen Emigranten, dem Wirtschaftstheoretiker Oskar Morgenstern, verfasste von Neumann 1944 das viel beachtete Buch »The Theory of Games and Economic Behavior«. Darin werden wirtschaftliche Entscheidungsprozesse mit Hilfe der Spieltheorie mathematisch beschrieben. Ab 1943 führte von Neumann in Los Alamos komplizierte Berechnungen für das US-Atombombenprojekt durch, wobei ihn vor allem eines nervte: die unzulängliche Rechentechnik. Er entwickelte daher eine spezielle Computer-Architektur (heute »von-Neumann-Architektur« genannt), die bahnbrechend für die moderne Informatik wurde. Eine der wesentlichen Neuerungen bestand darin, Programme nicht mehr fest zu verdrahten, sondern sie im Computer binär codiert als Daten abzuspeichern. Allerdings war von Neumann nicht als Erster auf diese Idee gekommen. Der deutsche Computererfinder Konrad Zuse hatte die Prinzipien einer solchen Rechner-Architektur bereits 1936 formuliert und sie wenig später auch praktisch umgesetzt. Nach dem zweiten Weltkrieg sorgte von Neumann besonders durch sein militantes Auftreten für Schlagzeilen. Ob er der US-Regierung aber tatsächlich empfahl, über einem unbewohnten Gebiet in der Sowjetunion eine Wasserstoffbombe zu zünden, um Moskau dadurch einzuschüchtern und vom Bau eigener thermonuklearer Waffen abzuhalten, ist nicht mit Sicherheit belegt. Im Privaten galt von Neumann, der zweimal verheiratet war, als großer Partyheld. Er trank reichlich, erzählte bei jeder Gelegenheit zotige Witze, fuhr mehrere Autos zu Schrott und hatte zahlreiche Affären. Außerdem zockte er gern, was vielleicht sein Interesse an der Spieltheorie erklärt. In seinen letzten Lebensjahren litt er an einer Krebserkrankung, die ihn schließlich an den Rollstuhl fesselte. Von Schmerzen sowie der Angst geplagt, geistig zu versagen, starb von Neumann am 8. Februar 1957 in einem Washingtoner Hospital, um sieben Jahre später als Prototyp des genialen, ehrgeizigen Genies in die Annalen von Hollywood einzugehen. Denn der Legende nach soll Stanley Kubrick bei der Konzeption seines Filmklassikers »Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben« hauptsächlich drei Wissenschaftler vor Augen gehabt haben: Wernher von Braun, Edward Teller und - John von Neumann.
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