Haben Sie auch schon geerbt?

  • Peter Ensikat
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.
Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass etwas faul ist am deutschen Steuerrecht. Unsereins hat das zwar schon lange geahnt, aber bei unsereinem besteht ja sofort der logische Verdacht, nur neidisch zu sein auf die Besserverdienenden, also Geringerversteuerten. Sozialneid ist ein zutiefst deutsches Schimpfwort, wie wir von unseren leidenden Managern immer wieder zu hören bekommen. Nur bei uns in Deutschland finden demnach die ärmeren Leute etwas dabei, wenn die Wenigen immer reicher und die Vielen immer ärmer werden. In anderen Ländern muss das eine allgemein anerkannte Selbstverständlichkeit sein. Der arme Südländer nimmt seine Armut einfach nicht so schwer. Im Gegenteil - ihn tröstet, dass es anderen besser geht. Nur wir Deutschen, besonders wir Ostdeutschen, wollen nicht lassen von dieser Gleichmacherei, die zum Beispiel gleiches Steuerrecht für alle fordert. Oder darauf besteht, dass vor dem Gesetz alle gleich seien, nur weil das im Grundgesetz steht. Wir wollen nicht einsehen, dass zwischen Grundgesetzpoesie und Alltagsprosa ein ähnlicher, rein theoretischer Zusammenhang besteht wie zwischen den Parallelen, die sich angeblich in der Unendlichkeit treffen, also da, wo es keiner mehr kontrollieren kann. Da die Justiz unseres Landes nicht nur überlastet, sondern auch viel zu teuer ist, müssen die Gerichte eben hier und da von der zeitaufwändigen Rechtsfindung ablassen und stattdessen einen rechtsfreien Kompromiss suchen, mit dem auch so wohl situierte Angeklagte wie die Herren Ackermann oder Hartz leben können. Denn ihnen eventuell veruntreute Millionen nachzuweisen, ist so unvergleichlich viel komplizierter und zeitaufwändiger, als dem Ladendieb seinen geklauten Taschenrechner unter die Nase zu halten. Gerechtigkeit ist ein so hohes Gut geworden, dass es unten einfach nicht mehr zu haben ist. Trotzdem - wie gesagt - hat das Bundesverfassungsgericht kürzlich festgestellt, dass das deutsche Steuerrecht nicht nur allgemein ungerecht ist - allgemein ungerecht ist ja so vieles auf dieser Welt. Das fängt mit der Natur an und hört beim deutschen Steuerrecht nicht auf. Die Ungerechtigkeiten der Natur sind etwas, was man zwar beklagen, aber nicht ändern kann. Der eine wird nun mal reich geboren und der andere weniger reich. Und wer reich geboren wird, bleibt im Normalfall eben reich, bis er seinen Reichtum aus Gründen des Ablebens abgeben muss, an seine nun noch mal reich gewordenen Erben. So ist der Gang der Natur. Armut vererbt sich ja nicht weniger natürlich. An diesem natürlichen Gang der Dinge will auch unser Verfassungsgericht nicht rütteln. Es verlangt nur, dass der aus Verwandtschaftsgründen erworbene, also naturgegebene Reichtum, ähnlich besteuert wird wie der durch Arbeit erworbene. Spätestens hier hätte den Verfassungsrichtern auffallen müssen, wie weit sie von der ökonomischen Realität unserer Tage entfernt sind. Wo gibt es denn noch durch Arbeit erworbenen Reichtum, der den Namen Aldi oder Thurn und Taxis verdiente? Arbeit und Reichtum schließen einander längst aus. Gewiss gab es einmal Zeiten, da man als Tellerwäscher Millionär oder als Arme-Leute-Kind sogar Bundeskanzler hatte werden können. Aber die Zeiten sind eben vorbei, unter anderem dank der Politik eines Bundeskanzlers, der einmal selbst Arme-Leute-Kind war. Schon daraus ist zu ersehen, wie wenig solche Chancengleichheit den Armen genützt hat. Hartz IV ist keine Erfindung der reichen Erben, auch wenn diese aus verständlichen Gründen nicht dagegen protestiert haben - wie sie das jetzt ganz sicher tun werden, wenn ein neues Erbrecht ihnen Erbschaftssteuern abverlangen sollte, die...

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