nd-aktuell.de / 26.04.2017 / Kultur / Seite 12

Alleinsam im Ja Ja Land

Brian Morrow schreibt die erste Folge der Strugatzki-Reihe des Helmi-Puppentheaters für das Ballhaus Ost

Lucía Tirado

Prenzlauer Berg in 100 Jahren? Es herrscht das Matriarchat. Alle werden Veganer sein und Muslime auch. Gender gibt es nicht mehr. Alle sprechen inzwischen englisch. Nur einer ist nicht auf dem neuesten Stand und sorgt für Durcheinander. So ungefähr wird es unter anderem sein im »Ja Ja Land« von Brian Morrow, der ersten von fünf neuen Produktionen des Helmi-Puppentheaters. Genau weiß man das ja vor einer Premiere nie. Noch in der Generalprobe kann sich vieles ändern im Theater. Beim Helmi sogar bei der Premiere selbst. »Außerdem gleicht bei uns keine Vorstellung der anderen«, sagt Morrow.

Das mit der vorwärtsdrängenden englischen Sprache ist nicht aus der Luft gegriffen. Morrow, der schon zwanzig Jahre in Berlin lebt, beobachtet das mit Belustigung. Er spottet über hilfsenglische Werbeslogans im Stadtbild wie »Call and surf Comfort via Funk« oder »Mix it, Baby«. Was ist dann mit »Das Helmi goes russische Phantastik«? Nehmen wir es mal als Überhöhung.

Denn ernsthaft ist der Ansatz der Helmi-Künstler durchaus, die auf dem Heimatplaneten Ballhaus Ost arbeiten. Mit allen fünf Folgen, die jeweils von Mitgliedern des sogenannten Kernteams der Gruppe geschrieben werden, widmet sich das Puppentheater Werken der sowjetischen Schriftsteller Arkadi Strugatzki (1925 - 1991) und Boris Strugatzki (1933 - 2012). Über 50 Millionen verkaufte Exemplare sagt man den Brüdern nach, die Leningrad - und nach der Umbenennung St. Petersburg - eng verbunden waren. In 30 Sprachen wurden ihre Bücher übersetzt, von denen eine Vielzahl in öffentlichen Bibliotheken stehen. Niemand weiß, wie viele Romane und Erzählungen von den Strugatzkis erfunden wurden. In der Sowjetunion wurden sie vielfach zensiert und sogar so weit interpretiert, dass verschiedene Erzählungen ineinanderflossen, heißt es. Was blieb, war der optimistische Grundton. Bösewichte spielen kaum eine Rolle. Hingegen wird die Bürokratie eifrig verspottet.

Bei allem freien Schöpfertum, das beim Helmi-Puppentheater an der Tagesordnung ist, soll bei seiner Interpretation mehr Strugatzki als Morrow in der ersten Folge der Reihe sein, verspricht der Künstler, der Fotografie studierte, in Berlin zum Puppenspiel fand und über das »Helmi« einen beachtenswerten Bildband herausgebracht hat. Menschlichkeit nennt er als Basis und darstellerisches Ziel für sein Stück, in dem er selbst mitspielt. Über Bürokratie kann sich der 49-jährige Liverpooler, der mit seiner Familie in Prenzlauer Berg wohnt, hierzulande momentan nicht beschweren. Er will Deutscher werden. »Als ich deshalb zum Bürgeramt ging, brauchte ich als Begründung nur ein Wort sagen: Brexit.«

An Humor wird es bei den Aufführungen, für die in gewohnter Weise die Darsteller aus Schaumstoffmatratzen geschnitzt werden, sicher nicht fehlen. Die Helmi-Künstler nehmen sich selbst bei den Aufführungen noch gegenseitig hoch. Morrows starker Akzent sei schon oft Zielscheibe des Spotts gewesen, beklagt er. Dafür sind seine Sprachschöpfungen ein Quell der Freude. Das schöne Wort Alleinsamkeit wird ihm zugeschrieben. Und: »Wer zu spät kommt, der bestraft das Leben.« Beim »Ja Ja Land« ist das wohl nicht zu befürchten. Der Reisebeginn in das Strugatzki-Universum steht fest.

Folge 1: »Ja Ja Land« am 26. und 27. April; Folge 2: »Die dritte Zivilisation« am 18. und 19. Mai; jeweils im Ballhaus Ost, Pappelallee 15, Prenzlauer Berg