Außer Spesen nichts gewesen?

Mit einem Boykott wollen Studenten die Einführung von Studiengebühren stoppen / Kampagne zur Zahlungsverweigerung droht zu scheitern, bevor sie richtig begonnen hat

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 5 Min.
Mit einem Boykott von Studiengebühren wollen sich Studierende gegen eine Zwangsabgabe an den Unis wehren. Die Zwischenbilanz fällt allerdings ernüchternd aus: Nur in wenigen kleinen Unis verweigerten bislang genügend Studierende den Obolus.
Die Revolution in Deutschland geht diesmal vom beschaulichen Karlsruhe aus. »Es liegt etwas in der Luft«, frohlockte am Donnerstag der Vorsitzende der Studentenvertretung der Uni Karlsruhe, Boris Bartenstein. »Die Leute spüren, das sie was bewegen können.«
Was war geschehen? An der Hochschule für Gestaltung, der staatlichen Akademie der Bildenden Künste und der Musikhochschule in Karlsruhe wurde die nötige Zahl von 30 Prozent zahlungspflichtigen Studierenden zusammengetrommelt, die die ab dem nächsten Semester fällige Studiengebühr von 500 Euro pro Semester auf ein Sperrkonto überwiesen haben, um sie hierdurch dem Zugriff der Universität zu entziehen. »Wenn die weiteren Quoren erreicht werden, ist der Boykott nicht mehr zu stoppen«, gibt sich Boris Bartenstein optimistisch. Der Erfolg, der auf den Internetseiten der Gebührengegner gefeiert wird, hat allerdings einen Haken: Mit 300 bis 400 Studenten gehören die drei Hochschulen zu den Minis im deutschen Universitätsbetrieb.

Drohgebärden aus der Politik
Anderswo fällt die Bilanz des seit Herbst letzten Jahres laufenden Gebührenboykotts denn auch ernüchternd aus: An mehreren Unis ist das selbst gesteckte Ziel, mindestens 25 bzw. 30 Prozent der Studierenden zum Boykott zu bewegen bereits verfehlt worden; negativer Spitzenreiter in der Rangliste der Gescheiterten ist die Universität Würzburg - von den knapp 20 000 Studierenden verweigerten bis zum Ende der Rückmeldefrist für das Sommersemester weniger als ein Prozent die Zahlung. Und dort, wo die Rückmeldefrist in den nächsten Tagen endet, sieht es für die studentischen Aktivisten auch eher nach einer Niederlage aus. An der Uni Dortmund etwa haben sich bislang lediglich etwas mehr als 300 Willige dazu durchgerungen, der Uni den studentischen Geldhahn zuzudrehen - bis zum Ablauf der Einzahlungsfrist am 14. Februar fehlen noch 4700 Boykottwillige.
Noch entmutigender für die Boykotteure verlief die Anti-Studiengebühren-Aktion an der Ruhr-Universität Bochum. Zwar votierte dort in einer Vollversammlung eine großer Mehrheit für einen Boykott, allerdings besuchten nach Angaben der Studierendenvertretung nur knapp 400 Studentinnen und Studenten die Versammlung - rund 34 000 zählt die sechstgrößte deutsche Universität insgesamt. Für eine Uni dieser Größe sei das eher wenig, meinte daraufhin der AStA und weigerte sich, Vorbereitungen für einen Boykott zu treffen.
Dabei hatten es sich die Boykotteure so schön vorgestellt: Treuhandkonten wurden eingerichtet, auf die die Verweigerer ihr Geld einzahlen sollten. Die von den Vollversammlungen an den Unis festgelegten Quoren sollte dabei als Schutz dienen, getreu dem Motto: Wenn so viele sich verweigern, kann die Uni-Leitung keine Zwangsmaßnahmen wie z. B. eine Exmatrikulation einleiten.
Dass diese Angst nicht unbegründet ist, zeigen die Drohgebärden aus den Wissenschaftsministerien. Man werde alle Nichtzahler von der Uni relegieren, hieß es. Keine Hochschule könne es sich allerdings leisten, ein Viertel ihrer Studenten auf einmal von der Uni zu werfen, gab man sich dagegen beim ABS von Anfang an kämpferisch. Schließlich drohe nicht nur ein Image-Schaden, sondern auch der Verlust von Staatsknete - für jeden Studenten erhalte die Hochschule einige tausend Euro.
Schon jetzt beginnt in der Boykott-Bewegung das Wundenlecken. Eine Erklärung für die schlechte Resonanz des Protestes unter den Studierenden seien sicherlich die von der Politik errichteten Drohkulissen, heißt es auf der offiziellen Boykott-Seite im Internet. Aber auch die unterschiedlich langen Rückmeldefristen an den einzelnen Hochschulen sowie der bürokratische Aufwand, der zum Teil bei der Überweisung auf die Sperrkonten entstand, habe viele Studierende abgeschreckt, wird vermutet.

Dominanz der gehobenen Einkommensschichten
Es gibt aber auch eine andere Erklärung: Die Mehrzahl der Studierenden kann sich die 500 Euro im Halbjahr (noch) leisten und beißt daher notgedrungen in den sauren Apfel. An den deutschen Hochschulen und Universitäten dominieren nach wie vor die gehobenen Einkommensschichten. 83,33 Euro im Monat werden zwar nicht gern bezahlt, können aber von diesen Studierenden bzw. deren Eltern notfalls verschmerzt werden.
Aber auch mental stellt die Uni-Maut für viele Studierende keine unüberwindliche Schranke dar. Annähernd zwei Drittel der knapp zwei Millionen Studenten in Deutschland entstammen bildungsnahen Milieus. Die Chancen eines Akademikerkindes in Bayern auf eine gymnasiale Schulkarriere sind laut PISA-Studie mehr als sechsmal so hoch wie die eines Arbeiterkindes (bei gleicher Intelligenz und gleichen Schulleistungen). Für das Lehrerkind ist das Abitur selbstverständlich, für den Facharbeiternachwuchs dagegen die Ausnahme. Im deutschen Bildungssystem existiere »eine Reihe von herkunftsspezifischen Hürden«, stellt der Soziologe Michael Hartmann fest. »Lehrer reagieren auf bestimmte Umgangsformen, auf sprachliche Ausdrucksfähigkeit, auf Wissen, das nicht in der Schule erworben wurde«, umschreibt der Professor an der Technischen Universität Darmstadt den nichtmonetären Ausleseprozess. Die derart Protegierten verfügen auch später über die nötige Portion Selbstsicherheit, um mit den Unwägbarkeiten im Hochschulbetrieb zurecht zu kommen. Hürden im Studium schrecken sie daher weit weniger, als dies etwa bei Kindern aus Arbeiterfamilien der Fall ist. Die sozialliberale Bildungsreform der 70er Jahre hat an diesem Befund kaum etwas geändert, im Gegenteil: Die Klassengesellschaft hat in keinem anderen System so sehr jeglichen Reformbestrebungen widerstanden wie im Schul- und Hochschulsystem.
Auf diese soziale Vorsortierung an den Schulen können die Gebührenfans in der Politik bauen. Schon 1996 stellte der 2005 verstorbene SPD-Bildungsexperte Peter Glotz in seinem Plädoyer für Studiengebühren lapidar fest, dass es für Kinder gut verdienender Beamter und Angestellter ein leichtes sei, auf den jährlichen Ski-Urlaub zu verzichten, um mehr Geld in die eigene universitäre Ausbildung zu stecken. Und er glaube auch, dass diese Studierenden ohne größeres Murren Studiengebühren akzeptieren würden, fügte er damals hinzu.
Noch ist für die Gebührengegner nicht alles verloren. An den meisten Unis läuft die Boykottkampagne noch, und an einer der größten deutschen Unis, der Universität Hamburg, haben Studierende bis Mitte Juni Zeit, sich zu verweigern. Auf 10 000 Studierende (30 Prozent) wurde die Mindestquote festgelegt. Indes verheißen Erfahrungen aus der Vergangenheit nichts Gutes: Am Verwaltungsgebührenboykott im letzten Semester beteiligten sich kaum 500 Studierende.

www.studis-online.de


Seit dem laufenden Wintersemester verlangen Universitäten und Hochschulen in Nordrhein-Westfalen Studiengebühren in Höhe von 500 Euro. Bayern, Baden-Württemberg und Hamburg werden im Sommersemester 2007 folgen, Hessen, Niedersachsen und das Saarland erheben ab dem Winteresemester 2007/08 Gebühren. 
ND
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