nd-aktuell.de / 27.04.2017 / Politik

Staatsanwaltschaft in Fall von gefesseltem Flüchtling bedroht

Mehrere schriftliche Drohungen vor Prozessauftakt / Ermittlungen aufgenommen / LINKE fordert Aufklärung

Berlin. Nach Drohungen gegen den zuständigen Staatsanwalt im Zusammenhang mit dem Prozess um die Fesselung eines irakischen Flüchtlings im sächsischen Arnsdorf sind Ermittlungen gegen unbekannt aufgenommen worden. Im Vorfeld des Prozesses am Amtsgericht Kamenz habe es mehrere »schriftliche Bedrohungen« gegen die Staatsanwaltschaft Görlitz gegeben, die nun Gegenstand der Ermittlungen seien, wie die Staatsanwaltschaft und das operative Abwehrzentrum der sächsischen Polizei (OAZ) am Donnerstag mitteilten.

Die Drohschreiben richteten sich demnach nicht gegen einen konkreten Menschen, wie eine Sprecherin des OAZ sagte. Dennoch habe man die Drohungen so ernst genommen, dass besondere Schutzmaßnahmen getroffen worden seien, hieß es im Innenministerium. Berichte des »mdr« vom Mittwochabend, wonach der zuständige Staatsanwalt in dem Verfahren wenige Tage vor dem Gerichtsprozess am vergangenen Montag von einer Gruppe unbekannter Männer abends auf dem Heimweg verfolgt, beleidigt und bedroht worden sein soll, wiesen die Ermittlungsbehörden als »unzutreffend« zurück.

Der Prozess gegen vier Männer wegen des gewaltsamen Übergriffs auf den Asylbewerber vor dem Amtsgericht Kamenz (Kreis Bautzen) war am Montag kurz nach dem Verlesen der Anklage überraschend wegen Geringfügigkeit eingestellt worden. Zur Begründung hieß es unter anderem, es habe kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung bestanden. In rechten Kreisen war der Prozess heftig kritisiert worden. Rund 100 Unterstützer der Angeklagten waren am Montag zum Prozessauftakt vor dem Amtsgericht erschienen. Die Einstellung des Verfahrens wurde anschließend bei einer Kundgebung des fremdenfeindlichen Pegida-Bündnisses in Dresden gefeiert. Kritiker werteten die Entscheidung als Aufruf zur Selbstjustiz.

Die Männer sollen den 21-jährigen Iraker vor knapp einem Jahr aus einen Supermarkt in Arnsdorf gezerrt und mit Kabelbindern an einen Baum gefesselt haben. Bei dem Iraker handelte es sich um einen damaligen Patienten des psychiatrischen Fachkrankenhauses in Arnsdorf. Der Asylbewerber wurde kurz vor dem Prozess tot in einem Wald gefunden. Laut Obduktion starb er vermutlich bereits im Januar an Unterkühlung. Gewalteinwirkung von außen schlossen die Ermittler aus. Der Iraker hätte in dem Prozess als Zeuge gehört werden sollen.

Die Zustimmung der Staatsanwaltschaft Görlitz zur Einstellung des Verfahrens erfolgte »allein aus sachlichen Erwägungen«, teilten die Justizbehörde und das OAZ mit. »Ein Zusammenhang mit den Ermittlungen wegen der Bedrohungen besteht nicht.« Trotzdem soll der Fall ein parlamentarisches Nachspiel haben. Die LINKE werde am kommenden Mittwoch im Rechtsausschuss des Landtages eine detaillierte und vollständige Auskunft der Staatsregierung über die Abläufe im Vor- und Umfeld des Prozesses fordern, sagte der Rechtsexperte der Fraktion, Klaus Bartl, am Donnerstag.

»Wir dürfen es nicht zulassen, dass Vertreter des Rechtsstaates eingeschüchtert werden und die Strafverfolgung dadurch beeinträchtigt wird«, sagte Bartl, der auch Vorsitzender des Rechtsausschusses ist. Er fordere Aufklärung, aus welchen sachlichen und rechtlichen Erwägungen die Staatsanwalt einer Einstellung des Verfahrens zugestimmt habe. »Wir wollen auch in Erfahrung bringen, welche weiteren Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit den Geschehnissen in Arnsdorf geführt worden sind und was sie ergeben haben.«

Die Bedrohung des Staatsanwalts, ohne dessen Zustimmung ein Ende des Prozesses gesetzlich unmöglich gewesen wäre, nähre den Eindruck, »dass der Rechtsstaat vor dem Wutbürgertum kapituliert hat«. Hinter dem Fall »Arnsdorf« stecke offensichtlich mehr als bisher bekannt ist, sagte Bartl. nd/Agenturen