nd-aktuell.de / 28.04.2017 / Kultur / Seite 14

Die den Sturm ernten

Leseprobe

Kriege werden erzählt, nicht anders als Geschichten. Die jeweiligen Erzählungen bestimmen das Bild in unseren Köpfen, unsere Sicht auf Konflikte. Wir wissen, oder wir glauben zu wissen, wer schuldig ist und wer nicht, wer die Guten sind und wer die Bösen. Im Falle Syriens ist die vorherrschende Sichtweise in etwa diese: Das verbrecherische Assad-Regime führt Krieg gegen das eigene Volk, unterstützt von den nicht minder skrupellosen Machthabern in Moskau und Teheran. Die syrische Opposition, gerne als »gemäßigt« bezeichnet oder als »das« syrische Volk schlechthin wahrgenommen, befindet sich in einem verzweifelten Freiheitskampf, dem sich der Westen nicht verschließen kann ...

Leider greift diese Rahmenerzählung, das Narrativ hiesiger Politik wie auch der Medien, viel zu kurz. Die Verbrechen Assads sind offenkundig, doch ersetzt die moralische Anklage nicht die politische Analyse ... Die übrigen, die fehlenden Teile werden meist gar nicht erst erzählt. Zum Beispiel Omran. Das Foto des kleinen Jungen wurde im August 2016 zur Ikone der Schlacht um Aleppo, genauer gesagt der Angriffe von Regierungstruppen auf Stellungen der »Opposition« im Ostteil der Stadt. Es zeigt das staubbedeckte, apathische Kind, auf einem Stuhl sitzend, das Gesicht blutverschmiert. Ein furchtbares Schicksal, jeder möchte Omran in den Arm nehmen und trösten ...

Das ist der eine Teil der Geschichte, dessen emotionale Wucht kaum zu überbieten ist. Der andere Teil wird selten beleuchtet, wenn überhaupt. Der Fotograf heißt Mahmud Raslan. Er hatte kurz vor seiner Aufnahme Omrans ein Selfie gepostet, das ihn grinsend mit Angehörigen der Dschihadistenmiliz »Harakat Nur ad-Din as-Sanki« zeigte. Darunter die beiden Männer, die zweifelsfrei vier Wochen zuvor den zwölfjährigen Abdallah Isa für ein Propagandavideo geköpft hatten. Raslan arbeitete für das »Aleppo Media Center«, das westlichen Medien in den monatelang andauernden Kämpfen um Aleppo als wichtige Informationsquelle diente. Offiziell handelt es sich dabei um ein »unabhängiges Netzwerk« von »Bürgerjournalisten«, mit einer allerdings klar regimefeindlichen Haltung, gut vernetzt mit Dschihadisten. Finanziert wird es maßgeblich vom französischen Außenministerium, auch aus Washington, London und Brüssel erhält das »Center« Geld.

Aus Michael Lüders »Die den Sturm ernten. Wie der Westen Syrien ins Chaos stürzte« (C.H. Beck, 176 S., br., 14,95 €).