Europas Bahnen rüsten auf

Deutsche und französische Gewerkschafter warnen vor Konkurrenzkampf

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit Anfang 2007 ist der Schienen-Güterverkehr völlig liberalisiert, so dass jedes Unternehmen EU-weit seine Dienste anbieten kann. Das fördert die Zerschlagung bestehender Bahngesellschaften.
In Sachen »Liberalisierung« gehört Deutschland neben Großbritannien zu den EU-Musterknaben. Hier tummeln sich rund 300 Schienenverkehrsunternehmen. Dabei hat es die DB-Güterverkehrssparte Railion mit Konkurrenten zu tun, die vor allem im profitablen Verkehr mit Ganzzügen auf großen Güterverkehrskorridoren Marktanteile erobert haben. Zunehmend bilden nun auch bisherige Staatsbahnen Güterverkehrstöchter in anderen Ländern. So übernahm Railion vor Jahren die niederländische und dänische Güterbahn und den Güterbereich der zwischen Bern und dem Wallis beheimateten schweizerischen BLS-Bahn. Die Schweizer Bundesbahnen (SBB) wiederum betreiben mit der SBB Cargo schon längst eine deutsche Filiale. Der Hoffnung, durch Privatisierung und Wettbewerb werde der Anteil der Schiene am Güterverkehr stark zunehmen, widersprach warnt Railon-Betriebsrat Alfred Lange. Private Investoren würden jede Strecke, jeden Betriebsteil und jeden Arbeitsplatz untersuchen und alles abstoßen, was nicht ausreichend Rendite abwirft. Sozial- und ökologisches Dumping durch private Güterbahnen wird auch aus Österreich gemeldet. Im deutschen Schienenpersonennahverkehr ist der Anteil der Privaten stetig angewachsen. Hier fließen staatliche Gelder, mit denen die Länder den Regionalverkehr bestellen. So verdrängen private Firmen mit schlechteren Arbeitsbedingungen die Bahn-Tochter DB Regio. Mit im Spiel sind internationale Konzerne wie Veolia oder Arriva. Gleichzeitig erwachsen aus der Privatisierung kommunaler und landeseigener Verkehrsunternehmen neue Konzerne wie die Abellio-Gruppe. Ursprünglich Ableger der städtischen Essener Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft, gehört Abellio jetzt zu 75,2 Prozent dem britischen Investmentfonds Star Capital Partners, hinter dem sich die Bank of Scotland und die spanische Santander Central Hispano verbergen. Nachdem sich das EU-Parlament nun dafür ausgesprochen hat, bis 2010 die Netze für den grenzüberschreitenden Schienenpersonenverkehr zu öffnen, entwickelt sich speziell zwischen der Deutschen Bahn und der französischen SNCF eine neue Rivalität. Der deutsche SNCF-Ableger Keolis beteiligt sich an Ausschreibungen im deutschen Nahverkehr zu Lasten der DB Regio und hat sich den früheren DB-Regio-Manager Hans Leister ins Boot geholt. DB-Chef Mehdorn will wiederum die S-Bahn in Lyon aufkaufen. Mit der anstehenden Inbetriebnahme der Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Paris und Straßburg/Saarbrücken zeichnet sich ein harter Wettbewerb zwischen dem ICE und dem französischen TGV ab. Mehdorn ist besorgt, weil die SNCF dem TGV, der ab Juni 2007 von Paris aus in knapp vier Stunden Stuttgart ansteuert bis München weiterrollen soll. Er will den »Angriff« »kontern« und eine hohe Zahl »frankreichtauglicher« ICE-Züge bestellen, die bis Lyon und Barcelona durchfahren können. In ein antifranzösisches Horn stieß Ende 2006 auch der SPD-Vorsitzende und rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck, als ihn eine Eisenbahnerin zur Ablehnung der Privatisierung aufforderte. Die DB würde von der SNCF geschluckt bzw. verdrängt, wenn sie nicht an die Börse gehe und international expandiere, so Beck. Dass das Schreckgespenst Frankreich als Vorwand für die Privatisierung dienen soll, stößt deutschen und französischen Eisenbahnern bitter auf. »Die Geschädigten und Missbrauchten sind die Beschäftigte. Dadurch werden auch volkswirtschaftliche Ressourcen massiv verschwendet«, heißt es in einer Erklärung der Initiative »Bahn von unten« in Transnet und der französischen Eisenbahnergewerkschaft SUDRail, die kürzlich bei einer Demonstration aller französischen Bahngewerkschaften gegen die Privatisierung der SNCF in Paris verteilt wurde. Das Papier fordert Kooperation der Staatsbahnen statt Konkurrenzdenken.
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