Vielleicht wird das ja Kult

Konzert in Berlin: The Good, the Bad and the Queen

  • Andreas Kötter
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.
Aus eiskalter Dunkelheit heraus, eine gute Stunde und fünfzig Meter vom Konzert entfernt, zum dritten Mal danach gefragt, ob ich »noch 'ne Karte übrig« habe, erreicht mich die Gewissheit, etwas richtig gemacht zu haben. Gegen die einmalige Zahlung von knapp über 30 Euro teilten dieses seltene Gefühl am vergangenen Donnerstag knapp tausend Popmusik-Interessierte im ausverkauften Berliner Postbahnhof. Nun aber, während man sich zum eingespielten Dub gekonnt zwischen Bühne und Mischpult verteilte, betrat die große Frage den Raum: Würde die hier versammelte Jeans und Kapuzen-Shirt tragende Berufsgruppe der Kreativen trotz intellektueller Hemmungen eine angemessene Atmosphäre zustande bringen? Die Vorraussetzungen immerhin waren perfekt, schließlich hatten sich mit Damon Albarn (Blur, Gorillaz), Paul Simonon (The Clash), Simon Tong (The Verve) und dem inzwischen 66-jährigen Tony Allen (Fela Kuti Band) erstmals Musiker zum gemeinsamen Konzert angekündigt, die in der Vergangenheit zweifellos stilbildend gewirkt hatten. Die Stadt London ist das Thema des Projektes, das generös auf einen Bandnamen verzichtet und deshalb mit dem Titel der vor knapp zwei Wochen erschienenen Platte »The Good, the Bad and the Queen« bezeichnet wird. Von ihren Kult-gierigen Fans als Reminiszenz an Sergio-Leone-Western missverstanden, ist der Titel ein gängiger Euphemismus für die Bevölkerung Londons. Mehr als an Cowboys erinnerten dann die Musiker - trotz einheitlich schwarzer Kleidung - in ihrem professionell rüpelhaften Gebaren an die »Clock Work Orange«-Figuren des Stanley-Kubrick-Films. Begleitet von Streicherinnen und einem zusätzlichen Keyboard wurden die zwölf eingängigen Songs der Platte - Beatles-hafte Melodik, zeitlose Melancholie - heruntergespielt. Ein dichtes Netz aus Pop, Rock, Dub und Reggae. Die legendäre Vergangenheit der Musiker und der Musikgeschmack des Publikums verbanden Künstler und Gäste bald in ehrlicher Sympathie. Das Image der Band lebt von offenen Reminiszenzen an das London von 1976, als die oftmals gewaltvolle Begegnung von Reggae, Rhythm 'n' Blues und Ska den Nährboden einer neuen Musik namens Punk bildete. Was Albarn auf dem Blur-Album »Parklife« (1994) noch verdammte, wird hier mit entsprechenden Kostümen achtungsvoll nachgespielt. Mit der künstlichen Patina des Subversiven behaftet, bietet das Projekt innerhalb der zunehmend hektischen Pop-Industrialisierung einem seltsamen Biotop aus Authentizität (Simonon), distanzierter Ironie (Albarn), Lerneifer (Tong) und Unterforderung (Allen) Raum. Als dann nach einer knappen Stunde das Licht angeht, herrscht allseitige Befriedigung. Man war dabei. Wobei, wird sich zeigen. »Krieg ich deine Karte?«, werden herausströmende Gäste nach dem Konzert von einem Wartenden gefragt: ...

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