Eine Giftliste mit 135 Namen

Viele Kandidaten für Nigerias Wahlen stehen unter Korruptionsverdacht

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 3 Min.
Etliche Kandidaten für die demnächst anstehenden Wahlen in Nigeria sind aus moralischer Sicht ungeeignet. Das hat die Antikorruptionskommission des Landes festgestellt und ihre Informationen den Parteien zukommen lassen. Die Opposition wittert eine gezielte Rufmordkampagne.
135 Fälle sind es, in denen Bewerbern um hohe politische Posten fragwürdiges Verhalten vorgeworfen wird. Prominentester Beschuldigter ist einmal mehr Vizepräsident Atiku Abubakar, der sich mehr als jeder andere Genannte sofort nach Bekanntwerden der Liste gegen die Anschuldigung verwahrte. Er sei nicht korrupt, sondern habe seinen Wohlstand auf ehrliche Weise durch geschicktes Investieren aufgebaut, ließ er mittlerweile zum wiederholten Mal die Öffentlichkeit wissen. Denn auch aus dem Umfeld des gegenwärtigen Staatsoberhauptes Olusegun Obasanjo hatte es in dieser Hinsicht schon mehrfach Vorwürfe gegeben. Angeblich hat der formal zweitmächtigste Mann Nigerias mehrere Millionen Dollar veruntreut. Bisher hatte sich Abubakar wenigstens teilweise damit hinausreden können, dass seine heftigsten Gegner ihn diskreditieren wollen. Zwischen ihm und Obasanjo ist das Tischtuch längst zerschnitten - beide Männer, die 2003 als Duo antraten, sind sich nunmehr in inniger Feindschaft verbunden. Während der Vizepräsident verhinderte, dass dem Staatschef durch eine geplante Gesetzesänderung eine dritte Amtszeit ermöglicht wurde, hat Obasanjo seinen Widersacher aus der Regierungspartei People's Democratic Party (PDP) ausschließen lassen. Bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen geht Abubakar nun für die Oppositionspartei Action Congress (AC) ins Rennen. Dass ihm jetzt auch die prinzipiell unabhängige Antikorruptionskommission Selbstbereicherung unterstellt, wird seine Chancen weiter schmälern. so er denn seine Kandidatur aufrecht erhält. Die Liste, mit der das Gremium an die Öffentlichkeit getreten ist, wirft generell ein bezeichnendes Licht auf die Zustände im bevölkerungsreichsten Staat Afrikas. In der jährlichen Studie der Organisation Transparency International landet Nigeria regelmäßig auf einem der hintersten Plätze, gehört zu den korruptionsanfälligsten Ländern weltweit. Die Bekämpfung dieses gesellschaftlichen Grundübels hatte sich Präsident Obasanjo denn auch als eine der Hauptaufgaben seiner demnächst endenden zweiten Amtszeit auserkoren. Der Fortschritt ist mühsam. Allein die regierende PDP ist mit 53 namhaften Mitgliedern auf der 135 Namen umfassenden »Giftliste« der staatlichen Korruptionsbekämpfer vertreten. Vier ihrer Gouverneurskandidaten und ein Bewerber für den Vizegouverneursposten sind aus Sicht der Kommissionsmitglieder belastet. Auch die größte Oppositionspartei ANPP mit 39 Nennungen, darunter neun Aspiranten auf den Posten eines Regionalchefs, kommt kaum besser weg. Und die AC, für die Atiku Abubakar das höchste Staatsamt erobern will, steht einschließlich seiner Person mit 27 Kandidaten in der Kritik. Allein diese Verteilung, zu der noch 19 Mitglieder anderer Gruppen kommen, verdeutlicht, dass die Antikorruptionskommission keineswegs gezielt einer bestimmten Partei mit der Veröffentlichung schaden wollte. Keine der wichtigen politischen Kräfte kommt ungeschoren davon. Allerdings hat die Forderung, solcherlei Kandidaten zurückzuziehen, lediglich empfehlenden Charakter. Wie die Parteien mit den Informationen der Liste umgehen, liegt ganz allein in ihrem Ermessen. Da es sich bei den Genannten teilweise um die Favoriten im Kampf um wichtige Positionen handelt, sind Konsequenzen im Sinne einer saubereren Politik nicht unbedingt zu erwarten. Selbst ob sich die Partei des Präsidenten bemüßigt fühlt, ihre Kandidaten wenigstens nochmals zu überprüfen, ist trotz Obasanjos Antikorruptionskurs wegen wahltaktischen Erwägungen fraglich Inwieweit die Liste sich auf das Wählerverhalten auswirkt, ist offen. Die bürgerlich-demokratische Tradition im Land ist kurz. Gerade mal elf der ersten 39 Jahre seiner 1960 erlangten Unabhängigkeit hatte der westafrikanische Staat eine zivile Regierung. Ein schweres Erbe für den Neuanfang 1999. Wahlentscheidungen fallen vor allem entlang der regional-ethnischen Herkunft der Kandidaten. Wichtig im Vielvölkerstaat mit seinen über 100 ethnischen Gruppen ist besonders, in welcher Weise die Machtteilung zwischen dem muslimischen Norden und dem christlichen Süden arrangiert wird. Auch in dieser Hinsicht bietet übrigens die Liste der mutmaßlich korrupten Spitzenpolitiker »ausgleichende Gerechtigkeit«, so dass niemand ernsthaft den Vorwurf der Einseitigkeit erheben kann.
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