nd-aktuell.de / 04.05.2017 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

Schweinemast im Grundgesetzcheck

Berliner Senatsverwaltung prüft nach Greenpeace-Rechtsgutachten Normenkontrollklage zu Tierschutzregelungen

Haidy Damm

Schmerzen durch mangelnde Bewegung und routinemäßig gekürzte Ringelschwänze: In der Kritik ist die Haltung von Mastschweinen seit Langem. Nun schlägt die Umweltschutzorganisation Greenpeace in einem am Mittwoch in Berlin veröffentlichten Rechtsgutachten neue Wege vor.

Denn laut dem mehr als 60-seitigen Papier der Hamburger Anwälte Davina Bruhn und Ulrich Wollenteit verstoßen die gesetzlichen Haltungsvorschriften in der Schweinemast gegen das Tierschutzgesetz und sind verfassungswidrig. Sie werden »den Bedürfnissen der Schweine nicht gerecht« und fügen ihnen »aufgrund der massiven Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit Schmerzen zu«, heißt es im Gutachten. Dadurch werde geltendes Recht und das im Grundgesetz festgehaltene Staatsziel Tierschutz missachtet. Auch das routinemäßige Kastrieren junger Ferkel, das bis Ende 2018 ohne Betäubung erfolgen darf, verstoße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und damit gegen das Grundgesetz. Aus Rechtsgründen halten die Anwälte es daher für »zwingend geboten«, die zuständige Nutztierhaltungsverordnung zu ändern.

Unwahrscheinlich, dass die Bundesregierung selbst die von ihr erlassenen Regelungen verschärft. »Die Haltung muss den Bedürfnissen der Tiere angepasst werden - nicht die Tiere den Haltungsbedingungen«, fordert zwar Stephanie Töwe, Greenpeace-Agrarexpertin. Der zuständige Minister Christian Schmidt (CSU) ist in dieser Frage jedoch nicht durch Aktivismus aufgefallen. Seine freiwillige »Tierwohl«-Initiative bleibt laut Rechtsgutachten »wirkungslos« und entbindet das Ministerium nicht »von seiner Verpflichtung, die Haltungsvorgaben - und zwar verbindlich - zu verschärfen«, sagt Anwältin Bruhn. Die Anwälte schlagen deshalb eine Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht vor.

Diese kann neben der Bundesregierung auch eine Landesregierung einreichen. Anfang der 1990er Jahre hatte Nordrhein-Westfalen diesen Weg gewählt und war vor das Bundesverfassungsgericht gezogen, um gegen die Käfighaltung von Hennen vorzugehen - mit Erfolg.

Mit einigen Landesregierungen sei Greenpeace darüber bereits im Gespräch, bestätigt Töwe. Konkrete Überlegungen gibt es innerhalb des neuen Berliner Senats. Die Senatsverwaltung für Verbraucherschutz unter dem neuen Grünen-Senator Dirk Behrendt hält das Rechtsgutachten für »juristisch tragbar« und prüft nun, ob sie dem Senat eine Normenkontrollklage vorschlagen soll. Das bestätigte Sprecher Sebastian Brux gegenüber »nd«.

Niedersachsens Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne) begrüßte gegenüber »nd« das Gutachten: »Schon lange haben viele Zweifel daran, ob die heutige Schweinehaltung mit dem Tierschutz im Grundgesetz vereinbar ist«, sagte Meyer. Statt einer Normenkontrollklage verwies er auf die neu eingeführte Tierschutzverbandsklage und forderte, die Landwirte auf dem Weg finanziell zu unterstützen.

Klagen könnte auch der Bundestag, ein Viertel - also 158 - der Abgeordneten müsste einen entsprechenden Antrag stellen. Bei dem aktuellen Kräfteverhältnis scheint das schwierig, die Opposition käme nur auf 127 Stimmen - wenn sie sich denn einig wäre. Der agrarpolitische Sprecher der Grünen, Friedrich Ostendorff, sieht für die kommende Legislatur durchaus Spielraum. »In ethischen Fragen ist es immer wieder gelungen, fraktionsübergreifend einen Konsens zu erreichen«, gibt er sich optimistisch. Die LINKE-Bundestagsfraktion hält die Argumentation des Gutachtens zwar für stringent, will aber nicht ausschließlich juristisch für mehr Tierwohl kämpfen. Das Gutachten lasse die Ursachen vieler Tierschutzprobleme wie brachiale Preiskämpfe außer Acht.

Agrarverbände reagierten unterschiedlich. Während die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft den Vorschlag unterstützt, bewertet der Deutsche Bauernverband das Gutachten als »juristisch wenig belastbar«. Eine Klage in Karlsruhe würde »zusätzliche Rechtsunsicherheit« schaffen und sei »unverantwortlich«.