Werbung

Schweinemast im Grundgesetzcheck

Berliner Senatsverwaltung prüft nach Greenpeace-Rechtsgutachten Normenkontrollklage zu Tierschutzregelungen

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 3 Min.

Schmerzen durch mangelnde Bewegung und routinemäßig gekürzte Ringelschwänze: In der Kritik ist die Haltung von Mastschweinen seit Langem. Nun schlägt die Umweltschutzorganisation Greenpeace in einem am Mittwoch in Berlin veröffentlichten Rechtsgutachten neue Wege vor.

Denn laut dem mehr als 60-seitigen Papier der Hamburger Anwälte Davina Bruhn und Ulrich Wollenteit verstoßen die gesetzlichen Haltungsvorschriften in der Schweinemast gegen das Tierschutzgesetz und sind verfassungswidrig. Sie werden »den Bedürfnissen der Schweine nicht gerecht« und fügen ihnen »aufgrund der massiven Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit Schmerzen zu«, heißt es im Gutachten. Dadurch werde geltendes Recht und das im Grundgesetz festgehaltene Staatsziel Tierschutz missachtet. Auch das routinemäßige Kastrieren junger Ferkel, das bis Ende 2018 ohne Betäubung erfolgen darf, verstoße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und damit gegen das Grundgesetz. Aus Rechtsgründen halten die Anwälte es daher für »zwingend geboten«, die zuständige Nutztierhaltungsverordnung zu ändern.

Unwahrscheinlich, dass die Bundesregierung selbst die von ihr erlassenen Regelungen verschärft. »Die Haltung muss den Bedürfnissen der Tiere angepasst werden - nicht die Tiere den Haltungsbedingungen«, fordert zwar Stephanie Töwe, Greenpeace-Agrarexpertin. Der zuständige Minister Christian Schmidt (CSU) ist in dieser Frage jedoch nicht durch Aktivismus aufgefallen. Seine freiwillige »Tierwohl«-Initiative bleibt laut Rechtsgutachten »wirkungslos« und entbindet das Ministerium nicht »von seiner Verpflichtung, die Haltungsvorgaben - und zwar verbindlich - zu verschärfen«, sagt Anwältin Bruhn. Die Anwälte schlagen deshalb eine Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht vor.

Diese kann neben der Bundesregierung auch eine Landesregierung einreichen. Anfang der 1990er Jahre hatte Nordrhein-Westfalen diesen Weg gewählt und war vor das Bundesverfassungsgericht gezogen, um gegen die Käfighaltung von Hennen vorzugehen - mit Erfolg.

Mit einigen Landesregierungen sei Greenpeace darüber bereits im Gespräch, bestätigt Töwe. Konkrete Überlegungen gibt es innerhalb des neuen Berliner Senats. Die Senatsverwaltung für Verbraucherschutz unter dem neuen Grünen-Senator Dirk Behrendt hält das Rechtsgutachten für »juristisch tragbar« und prüft nun, ob sie dem Senat eine Normenkontrollklage vorschlagen soll. Das bestätigte Sprecher Sebastian Brux gegenüber »nd«.

Niedersachsens Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne) begrüßte gegenüber »nd« das Gutachten: »Schon lange haben viele Zweifel daran, ob die heutige Schweinehaltung mit dem Tierschutz im Grundgesetz vereinbar ist«, sagte Meyer. Statt einer Normenkontrollklage verwies er auf die neu eingeführte Tierschutzverbandsklage und forderte, die Landwirte auf dem Weg finanziell zu unterstützen.

Klagen könnte auch der Bundestag, ein Viertel - also 158 - der Abgeordneten müsste einen entsprechenden Antrag stellen. Bei dem aktuellen Kräfteverhältnis scheint das schwierig, die Opposition käme nur auf 127 Stimmen - wenn sie sich denn einig wäre. Der agrarpolitische Sprecher der Grünen, Friedrich Ostendorff, sieht für die kommende Legislatur durchaus Spielraum. »In ethischen Fragen ist es immer wieder gelungen, fraktionsübergreifend einen Konsens zu erreichen«, gibt er sich optimistisch. Die LINKE-Bundestagsfraktion hält die Argumentation des Gutachtens zwar für stringent, will aber nicht ausschließlich juristisch für mehr Tierwohl kämpfen. Das Gutachten lasse die Ursachen vieler Tierschutzprobleme wie brachiale Preiskämpfe außer Acht.

Agrarverbände reagierten unterschiedlich. Während die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft den Vorschlag unterstützt, bewertet der Deutsche Bauernverband das Gutachten als »juristisch wenig belastbar«. Eine Klage in Karlsruhe würde »zusätzliche Rechtsunsicherheit« schaffen und sei »unverantwortlich«.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal