nd-aktuell.de / 05.05.2017 / Kommentare / Seite 4

Für Macron

Tom Strohschneider über die entscheidende Stichwahl in Frankreich und die Verantwortung der deutschen Linken

Man sollte an dieser Stelle nicht große Umschweife machen: Vor die Wahl zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen gestellt, kann es für Linke meines Erachtens nur eine Entscheidung geben - für den Liberalen, gegen die Rechtsradikale.

Zur Begründung muss man auch keine langen Ausführungen bemühen. Erstens: Das Risiko einer rechtsradikalen Präsidentin ist zu groß für wahltaktische Überlegungen. Wir haben gedacht, Hillary Clinton würde gewinnen. Wir haben geglaubt, die Brexit-Abstimmung gehe anders aus. Es kam nicht so - und in beiden Fällen ist die Ausgangslage für politische Kämpfe um eine solidarische, soziale, ökologische, freiheitlichere Gesellschaft nicht besser geworden. Im Gegenteil. Das sollten auch jene sich links wähnenden Stimmen inzwischen erkannt haben, die vor den US-Wahlen oder der britischen EU-Abstimmung eine Katastrophe von Rechts fast herbeisehnten, weil sie glaubten, das würde die Linke mobilisieren.

Man kann es auf eine kurze Formel bringen: Es geht in Frankreich am Sonntag um die Spielräume des demokratischen Widerstands gegen neoliberale Politik. Unter Macron wird das kein Zuckerschlecken. Aber unter Le Pen gibt es vielleicht bald keine Spielräume mehr.

Zweitens: Wer glaubt, das französische Präsidentenamt sei ebenso wie das deutsche Pendant eine Art Grüßaugustposten, sei gewarnt. Das französische Staatsoberhaupt muss sich nicht gegenüber dem Parlament erklären, es wird durch kein Verfassungsgericht kontrolliert, es kann den Premier ernennen, entlassen und das Parlament auflösen, es bestimmt so im Kern die Richtung der Regierungspolitik, es hat die Hoheit über die Außen- und Verteidigungspolitik, es befehligt Atomstreitkräfte. Die Verfassung der Fünften Republik ist seinerzeit von der sozialdemokratischen Opposition als »permanenter Staatsstreich« bezeichnet worden. Es nimmt nichts von diesem Urteil zurück, dass später auch sozialdemokratische Präsidenten diese Machtfülle autoritär nutzten. Der vom Präsident abhängige Premier kann über den Verfassungsartikel 49.3 das Parlament umgehen. Dieses Amt in der Hand einer Rechtsradikalen ist eine Gefahr ohne Vergleich in Europa seit Jahrzehnten.

Drittens: Eine Stimme für Macron ist zugleich eine Stimme gegen die Radikalisierung des rassistischen Ressentiments, gegen eine noch stärkere institutionalisierte Ausgrenzung von Minderheiten, gegen die Normalisierung rechter Gewalt. Auch hier sei an die Abstimmungen in den USA und Großbritannien erinnert - den »überraschenden« rechten Siegen folgte eine gravierende Zunahme der Angriffe auf Muslime, Juden, Andersdenkende.

Wer das verhindern will, kann sich nicht darauf verlassen, dass Macron schon gewinnen wird. Le Pen wirksam verhindern, heißt Macron wählen.

Das ist das eine. Das andere ist: So richtig es ist, falsche Gleichsetzungen à la »Pest und Cholera« zu kritisieren, wie sie mit Blick auf die Stichwahl-Kandidaten auch in der deutschen Linken zu hören waren, so falsch ist es, jeden kurzerhand für »dumm« zu erklären, der über die politischen Folgen neoliberaler Spaltung redet. Es gehört zum Fundament kritischen Denkens, dass, wer über den Faschismus reden will, vom Kapitalismus nicht schweigen darf.

Noch etwas anderes gehörte einmal zu diesem linken Kanon: das Denken in Widersprüchen und ein nicht ideologisches, sondern auf Vernunft gründendes politisches Urteil. Wenn es stimmt, dass unter Macron die Gefahr eines weiteren Rechtsrucks steigt, muss man daraus politische Schlussfolgerungen für die Kämpfe der kommenden Jahre ziehen - statt entweder jetzt schon durch rhetorisches Herumeiern Le Pen zu riskieren oder wohlfeil jeden als politischen Idioten zu diskreditieren, der vor Macron warnt.

Ein letzter Gedanke drängt sich auf: Dass die hiesige Debatte über Frankreich seit dem ersten Wahlgang so emotional aufgeladen war, ist auch Ausdruck eines Schmerzes, selbst nicht stark genug zu sein, um jenen Wandel im »Herzen der Bestie« zu schaffen, also in Berlin, der nötig wäre, damit auch anderswo in Europa linke Kurswechsel überhaupt wieder möglich werden. Die Chancen der Linken in Frankreich wachsen nicht, indem man an der Seitenlinie steht und besserwisserische Tipps gibt. Mit dieser »Solidarität« hat man schon SYRIZA in Griechenland hängen lassen. Was wirklich helfen würde, wäre eine starke, progressive, politisch wirksame Linke hierzulande. Aber mal ehrlich: Welches Gewicht bringen wir auf die Waage?