nd-aktuell.de / 06.05.2017 / Politik / Seite 29

Wir wollen bleiben

Die vierköpfige Familie Lehmann* lebt in einer Wohnung im Berliner Stadtteil Treptow. Die beiden Kinder, der sechsjährige Mario* und die dreijährige Selin*, fühlen sich in der Nachbarschaft sehr wohl und gehen gerne in die Kindertagesstätte. Obwohl die Familie in der Wohnung jeden Tag schläft, isst und spielt, gehören die Räume einer großen Firma. Die bekommt von den Lehmanns jeden Monat Geld dafür, dass sie dort leben dürfen. Die Miete muss zu einem bestimmten Zeitpunkt im Monat auf das Konto der Firma überwiesen werden. Sonst kann es Probleme geben.

Dreimal in Folge haben die Eltern das Geld nun leider einige Tage zu spät übergeben. Die Miete war komplett, nur eben nicht ganz pünktlich. Das Unternehmen will die Familie deswegen jetzt aus der Wohnung werfen. Für die Eltern, für Mario und auch Selin ist die sogenannte Zwangsräumung sehr schlimm. Sie wissen nicht, wo sie dann hin sollen. Von ihren Freunden wollen die Kinder nicht weg. Die Eltern sorgen sich ebenfalls: Eine andere bezahlbare Wohnung in der Stadt zu finden, ist sehr schwer. Dem Unternehmen ist das egal. Wenn ein Mieter oder eine Mieterin kein Geld mehr hat oder zu spät bezahlt, dann kann er oder sie einfach durch einen anderen ersetzt werden.

Rund 20 Bewohner werden alleine in Berlin jeden Tag aus ihren Wohnungen geworfen. Da Unternehmen und Besitzer in vielen großen Städten die Mieten erhöhen, müssen zur Zeit eine Menge Menschen aus ihren Vierteln wegziehen. Die alten Bewohner versuchen sich dagegen aber zu wehren. »Zwangsräumungen sind immer inakzeptabel«, sagt Sara Walther, die sich mit Nachbarn und Freunden zusammengeschlossen hat. Mit der Gruppe »Zwangsräumungen verhindern« helfen sie Menschen wie Familie Lehmann, die aus ihren Wohnungen vertrieben werden sollen. Sie schreiben Briefe an Politiker, laufen mit Schildern durch die Straßen oder diskutieren mit den Unternehmen. Oft konnte so schon ein Rausschmiss verhindert werden.

Nach der Vorstellung der Gruppe sollten Wohnungen nicht verkauft werden dürfen wie etwa Autos. Sie sollten lieber denen gehören, die darin essen, schlafen und spielen. Das würde auch Mario und Selin gefallen.

Sebastian Bähr

* Namen geändert