nd-aktuell.de / 06.05.2017 / Wissen / Seite 23

Komparativ der Konvention

Über den verdrängten Zusammenhang von Populismus und Liberalismus. Von Franz Schandl

Franz Schandl

Fiel der Faschismus noch in die Aufstiegsgeschichte des Kapitalismus, so ist der sogenannte Rechtspopulismus Folge seines Niedergangs. Dessen Aggressivität ist mehr defensiv als offensiv, er will exkludieren, nicht inkludieren. Nicht einmarschieren, sondern ausweisen, ja gar nicht erst reinlassen. Stete Verweise auf die Geschichte lenken von der Gegenwart ab, schalten diese weg und negieren die aktuellen wie reellen Motive und Ängste des Publikums, nicht bloß diejenigen der freiheitlichen Anhängerschaft. Jene den Menschen abzusprechen, ist auch Unsinn. Nur weil das Unbehagen heute meist ins Ressentiment kippt, heißt das nicht, dass das Unbehagen unberechtigt wäre.

Die wahre Kraft des Rechtspopulismus speist sich aus seiner ungeheuren Synchronität. Politiker wie Trump, Le Pen, Orbán, Strache sind im Moment so erfolgreich, weil sie als Proponenten anschlussfähig erscheinen. Kein großer Betrieb, der nicht von Machern geführt wird, keine Sendung, die nicht auf Helden, Stars und Promis abstellt. Charismatische Phantome treten auf als kollektive Halluzinationen. Auch wenn diese (insbesondere für kritische Geister) nicht nachvollziehbar sind, sie werden massenhaft vollzogen. Da sie viele überfallen, sind sie effektiv. Abfahren. Aufschauen. Anhimmeln. Autorität wird als befreiend erlebt.

Die genannten Typen sind am kompatibelsten mit dem aktuellen kapitalistischen Betriebssystem, insbesondere dessen kulturindustriellen Standards. Sie entsprechen den Maximen von Werbung und Marketing, von Autorität und Führung am besten. Man müsste daher den gesamten Komplex aus Medien und Reklame, Management und Marke, Politik und Entertainment einer kritischen und übergreifenden Analyse unterziehen. Aber über dieses kollusive Parallelprogramm wird nicht geredet, da ginge es wirklich ans Eingemachte. Die Fernsehkanäle, die Abstiegsängste, die entfesselte Konkurrenz, das endlose Ranking, die grassierenden Evaluationen, die galoppierende Entsicherung des sozialen Gefüges, die unendlichen Kloaken der neuen Medien. Prekarisierung, Flexibilisierung, Virtualisierung, Deklassierung, Atomisierung, das alles ist Nektar für den Rechtspopulismus. Er liegt im Tempo der Zeit.

Dumpf ist die Wut, aber entschieden. Wut ist eine primitive Regung, vor allem weil sie blind oder besser noch: blindwütig ist und nicht zum Begriff ihres Gegenstandes vordringt. Menschen greifen auch nicht zur Wut, sondern die Wut ergreift oder besser noch überkommt sie. Der Populismus reagiert mit Reflexen, nicht mit Reflexion. Er ist ganz affektgesteuert. Es ist die Wut des Gegenwärtigen, die sich hier fortwährend entlädt und gegen die die herkömmlichen Agenturen und Apparate in Machtlosigkeit erstarren. Indem die etablierten Kräfte den Forderungen nachgeben, verschaffen sie jenen zusätzliche Legitimation. Aber tun sie es nicht, ist das Resultat kein anderes.

Sieht man sich die Inhalte an, verkörpert der Rechtspopulismus eine zutiefst affirmative Revolte. Kritik ist ihm völlig fern. Populisten sind nicht anders, sie sind bloß extremer. Nicht Weg von dem ist die Parole dieser Unzufriedenheit, sondern Mehr von dem. Die Wut des Gegenwärtigen sieht die Lösung in der Verschärfung. Typische Merkmale sind:

Erstens: Eine stramme abendländische Ausgrenzungspolitik, die zwischen rabiatem Regionalismus, renoviertem Nationalismus und modernem Eurochauvinismus changiert. Ja zum Standort und zur Festung Europa. Grenzen dicht. Ausländer raus. Wir gegen die.

Zweitens: Ein Antikapitalismus des dummen Kerls: Missstände und Verwerfungen werden personifiziert und bestimmten »Sündenböcken« angelastet. Schuld sind Politiker, Bürokraten, Bonzen, Sozialschmarotzer, Spekulanten, Banker, Juden, Gauner, Abzocker.

Drittens: Ein fanatischer, klassenübergreifender Glaube an die produktive und wertschaffende Arbeit: In diesem Kult des kleinen Mannes darf der fleißige Inländer nicht um seinen Ertrag geprellt werden. Arbeitswille ist Pflicht, Arbeitsverweigerung ein Verbrechen. Arbeit und Leistung werden einmal mehr glorifiziert.

Substanzielle Identitäten zwischen Liberalismus und Populismus werden konsequent ausgeblendet, und zwar sowohl im Gemeinverständnis als auch in den wissenschaftlichen Analysen. Sie bleiben im Dunkeln, obwohl sie so offensichtlich auf der Hand liegen: pro Markt, pro Arbeit, pro Leistung, pro Konkurrenz, pro Wachstum, pro Sozialdumping, pro Geld, pro Automobilisierung. Die Basis ist dieselbe. Der Populismus will alles viel schärfer haben. Er ist der Komparativ der Konvention.

Schuld wird bei beiden personalisiert, die Rede ist nicht von gesellschaftlichen Konstellationen, sondern von persönlichen Defiziten (»Ich bin schuld«) oder festmachbaren Sündenböcken (»Die sind schuld«). »Jeder ist seines Glückes Schmied«, trompeten die Liberalen aller Lager, gehen sie ja davon aus, dass freie Mitglieder einer freien Sozietät eine freie Meinung haben und auch die Möglichkeit frei zu handeln gegeben ist. Ist für den Liberalismus immer der einzelne schuld, wenn aus ihm nichts wird, wenn die Karriere nicht aufgeht, wenn er sozial abstürzt, so sind beim Populismus immer die anderen schuld. Der Populismus verweist auf dunkle Mächte und Machenschaften, die dem braven einzelnen, dem arbeitsamen und rechtschaffenen Bürger das Leben schwer machen.

Im Kult des Bürgers treffen sie sich ebenfalls. Im Zentrum beider Sichtweisen stehen Akteure, die mit einem Willen ausgerüstet sind. Dass diese ein jeweils spezifisches Ensemble der gesellschaftlichen Bedingungen abbilden, über das Wille, Meinung und Möglichkeit kaum hinausreichen, wird in dieser plumpen Denkerei völlig negiert. Hörige werden für mündig erklärt. Diese »Individuen« sind allerdings bloß Subjekte (im Sinne von Unterworfenen). Ihr In-sich-Reflektiertes ist primär Ausdruck ihrer besonderen sozialen Konditionierung. Diese muss ins Blickfeld, nicht bloß deren Resultate.

Der Liberalismus als dominierende Ideologie der sogenannten Werte hat eine ganz eigene Rationalität. Dass der Kapitalismus trotz desaströser globaler Bilanz noch immer nicht als gemeingefährlich eingestuft wird, ist vorrangig seiner Hegemonie in den Köpfen zuzuschreiben. Nicht, dass die Leute ihn unbedingt wollen, aber sie können sich nichts anderes vorstellen. Die etablierte Politik behauptet von sich, rational zu sein, während der Populismus irrational sei. Das ist bequem. Doch in Wahrheit hat erstere nur den Sachzwang von Markt und Kapital verinnerlicht. Dieser ist nichts anderes als die Rationalität der kapitalistischen Irrationalität. Diese Vernunft ist nicht so vernünftig, man denke an die verheerenden Folgen der Sachzwänge (Deklassierung, Arbeitslosigkeit, Raubbau an den natürlichen Ressourcen, Entwertung und Entwürdigung durch Arbeit, Altersarmut und Hunger, Problemverschiebungen in die Zukunft etc.). Permanent setzt hier die unsichtbare Hand des Marktes unhintergehbare Präferenzen. Dieser Okkultismus des Liberalismus stöhnt regelmäßig beschwörend auf: »Was sagen die Märkte?«

Der Liberalismus vereinigt blanke Affirmation und seichte Kritik zu einem allgegenwärtigen Gebräu. Die Anschlussfähigkeit lässt zwar nach, aber jener beherrscht nach wie vor weite Teile der Kulturindustrie, d.h. alte und neue Medien, Hochkultur, Popkultur, Werbung und vor allem die öffentlichen Sprachregelungen. Der Populismus hingegen ist ein Querschläger, die grobe Rache der Immanenz. Im Populismus kämpft das System gegen das System selbst. Eine zentrale Aufgabe des Populismus besteht insbesondere darin, die Politikverdrossenen wieder zurückzuholen, was teilweise gelingt. Dem Populismus ist nicht vorzuwerfen, dass er die Leute aus dem System führt, sondern das Gegenteil, dass er sie gerade inbrünstig auf dieses festlegt.

Beide Seiten sind sich in ihrer ungewollten Allianz aber einig, dass Liberalismus und Populismus nichts miteinander zu tun haben. Ihre Verwandtschaft ist ihnen zutiefst unangenehm, sodass sie diese verdrängen und verleugnen. Liberalismus wie auch Populismus beschwören beide die herrschende Konvention, geradezu frenetisch spielen sie auf der Stalinorgel der abzufeuernden Werte. Liberalismus gegen Populismus, das ist eindeutig die falsche Frontlinie.

Die alte Arbeiterbewegung erkannte oder zumindest fühlte sie noch ihre Unterdrückung, die sie durch Anpassung und Reform nicht nur erträglich, sondern auch ertragreich gestalten wollte. Stets tauschte sie Unterwerfung gegen Sicherheit, sowohl in Fabriken und Büros als auch in Partei und Gewerkschaft. Doch die Sicherheit ist perdu und die ledige Unterwerfung wenig anheimelnd. Kränkung ist die Folge, doch Kränkung ist ein schlechter Ratgeber. Entsicherte Subjekte schreien nach Halt. Sie mögen ihre Drangsalierung falsch einschätzen, aber im Gegensatz zu den Liberalen, die ihnen die Angst ausreden möchten, spüren sie das Leid. Autoritäre Persönlichkeiten suchen vorerst nach anderen Autoritäten und nicht nach Alternativen zur Autorität.

Die erste Krisenreaktion besteht in der Intensivierung der Affirmation. Solange sich die »kleinen Leute« als kleine Leute begreifen, sind sie höchstens zum Größenwahn fähig, aber nicht zur Größe. Ihre Selbstermächtigung entspringt sodann einer Fehlemotionalisierung, die sich nicht gegen ihre Konditionierung als Underdogs richtet, sondern dieser unbedingt entsprechen will. Man will bleiben, was man ist, nicht sich und die Gesellschaft ändern. Man munitioniert sich daher mit den reellen und ideellen Waffen des bürgerlichen Trottoirs.