nd-aktuell.de / 06.05.2017 / Politik / Seite 6

Folgenreiches »Smaragdgrün«

Dank seines neuen Passes könnte sich der russische Oppositionelle Nawalny in Deutschland behandeln lassen / Ob er danach wieder einreisen darf, ist indes fraglich

Axel Eichholz, Moskau

Putin-Kritiker Alexej Nawalny darf Russland verlassen. Am Donnerstag habe er plötzlich einen Anruf vom Passamt bekommen, sagte er dem Sender Echo Moskaus.

Er solle kommen und seinen Reisepass abholen, hieß es dem oppositionellen Politiker zufolge. Im ersten Moment habe er gedacht, dass es ein dummer Scherz oder eine Provokation sei. Den Reisepass hatte er vor fünf Jahren beantragt, durfte Russland aber wegen einer ihm anhängenden Bewährungsstrafe nicht verlassen. Der Reisepass war jetzt aber wirklich da.

Vor einer Woche war Nawalny am Eingang seiner Antikorruptionsstiftung in Moskau von Unbekannten attackiert worden, die ihm grellgrünes Desinfektionsmittel ins Gesicht gegossen hatten. Der Oppositionelle erlitt am rechten Auge eine so starke chemische Verätzung, dass er nun um sein Augenlicht fürchten muss. Russische Ärzte bescheinigten ihm den Verlust von 85 Prozent der Sehkraft und rieten ihm, sich in einer deutschen Fachklinik behandeln zu lassen, weil eine Netzhauttransplantation erforderlich werden könne.

Die vorläufige Diagnose geht von einer mittelschweren chemischen Verätzung aus. Dem Kreml nahestehende Bewegungen benutzen die Spirituslösung von »Smaragdgrün« häufig gegen ihre politischen Gegner. Die grüne Anilinfarbe lässt sich nur schwer abwaschen. Seit dem vergangenen Sommer fielen zahlreiche Menschenrechtler, liberale Politiker und Journalisten diesem Treiben zum Opfer. Unter anderen zählen die international bekannte Schriftstellerin Ludmila Ulizkaja, der Exregierungschef Michail Kassajnow, die Journalistin Julia Latynina dazu. Auch Nawalny hatte seine erste Portion Smaragdgrün bereits am 20. März bei der Eröffnung seines Wahlstabs in Barnaul abbekommen. Gesundheitliche Schäden waren dabei nicht zu beklagen.

Die giftgrüne Flüssigkeit ist an sich harmlos. Sie wird zur Behandlung von kleinen Kratzern und Insektenstichen bei Kindern, selbst bei Neugeborenen, verwendet. Ärzte glauben, dass jene Ladung, die Nawalny vorige Woche ins Gesicht geschüttet wurde, neben dem üblichen Desinfektionsmittel einen ätzenden Zusatz, vermutlich Akkusäure, enthielt.

Die russische Polizei hatte bei früheren Gelegenheiten die Angriffe auf Oppositionelle als »geringfügigen Hooliganismus« abgetan. Dieses Mal wurden dagegen strafrechtliche Ermittlungen gegen Unbekannt eingeleitet. Den Schuldigen drohten »harte Strafen«, wenn diese gefasst würden, heißt es. Das sei auf »höchster Ebene« angeordnet worden. Dabei wäre es gar nicht schwer, sie zu fassen. Man weiß, dass die »nationalen Befreiungsbewegungen« NOD und SERB, deren Spur in die selbst ernannten Donbassrepubliken in der Ostukraine führt, hinter den Anschlägen stehen. Mehr noch, im Internet wurden Namen und Fotos der Angreifer verbreitet.

Der Kreml hatte sich bereits vermeintlich großzügig gezeigt, als er dem früheren Yukos-Chef Michail Chodorkowski die Ausreise in den Westen vor Ablauf seiner Haftstrafe erlaubte. Allerdings kann er nicht nach Moskau zurückkehren, solange Wladimir Putin an der Macht bleibt. Freunde befürchten, dass man nun Nawalny zwar herauslassen, aber ihm die Wiedereinreise vor der Präsidentschaftswahl im nächsten März verweigern will. Das wäre eine »elegante« Lösung im Sinne Putins.