nd-aktuell.de / 12.05.2017 / Kommentare / Seite 4

Ewiggestriger Dünkel in der Bundeswehr

Schon seit Gründertagen leidet die Truppe an »Führungsschwäche« und »Haltungsproblemen«, urteilt Jürgen Rose

Jürgen Rose

Ja, in der Bundeswehr gibt es, wie Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) anmerkte, »Führungsschwäche« und »Haltungsprobleme«. Diese repräsentiert freilich zuvörderst sie selbst. In der Talkrunde von Anne Will verteidigte sie den glasklar völkerrechtswidrigen Marschflugkörper-Angriff des US-Präsidenten Donald Trump auf Syrien als richtig und völkerrechtskonform. Selbst nachdem Mitdiskutant Jan van Aken (LINKE) ihr die korrekte Rechtslage erläutert hatte, beharrte sie auf ihrer Auffassung. Für ihre Argumentationsweise gibt es zwei mögliche Erklärungen: Entweder sie war von ihrem Hause falsch instruiert worden – dann handelte es sich um ein Führungsproblem. Oder aber, sie kannte die wahre Rechtslage und hat wider besseres Wissen versucht, getreu dem Motto »legal, illegal, scheißegal« die deutsche Öffentlichkeit zu täuschen – dann hätte sie, weitaus schlimmer, ein persönliches Haltungsproblem. Wer als oberste Dienstherrin solchermaßen verfährt, sollte sich nicht wundern, wenn der unterstellte Bereich derselben Devise frönt.

Schon seit Gründertagen leidet die Bundeswehr an »Führungsschwäche« und »Haltungsproblemen«, stand doch den alten Kämpfern der Wehrmacht und Waffen-SS aus der Aufbaugeneration der Sinn stets nach einer »optimierten Wehrmacht« statt nach einer Armee in der und für die Demokratie. Richtig Morgenluft witterten die »Traditionalisten« nach dem Ende des Kalten Krieges. Endlich konnte man die Bundeswehr in eine »Einsatzarmee« transformieren. Schritt für Schritt setzte die politische und militärische Füh­rung unter der Devise »Kampfmotivation« in der Bundeswehr ein tra­di­tional geprägtes, wehrmachtinspiriertes militärisches Selbstverständnis durch, wurde die Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr als Maß aller Dinge definiert. Ge­neral Hans-Otto Budde, dereinst Inspekteur des deutschen Heeres, brachte das neue Soldatenbild idealtypisch auf den Punkt, als er ausführte: »Wir brauchen den archaischen Kämpfer und den, der den High-Tech-Krieg führen kann.« Wer von ganz oben derartige Latrinenparolen ausgibt, braucht sich über die Entstehung brauner Sümpfe in den Niederungen der Truppe nicht zu wundern.

Beispielhaft für die Fehlentwicklung in den Streitkräften ist ein Buch, welches jüngst unter dem programmatischen Titel »Armee im Aufbruch. Zur Gedankenwelt junger Offiziere in den Kampftruppen der Bundeswehr« erschien. Lobende Geleitworte lieferten unter anderem der damalige Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus (FDP), Heeresinspekteur Generalleutnant Bruno Kasdorf sowie der grüne Bundestagsabgeordnete Winfried Nachtwei. Nassforsch propagiert ein Leutnant in vorgenanntem Machwerk: »Der Staatsbürger in Uniform ist ein Auslaufmodell. Heute wird der Profi in Uniform benötigt. Für uns Offiziere heißt das: weg vom politisierten Soldaten, hin zum Experten für Kriegsführung.« Weitere Geistesblitze lauten so: »Während in der Zivilgesellschaft Diskurs und politische Differenzen die demokratische Kultur bereichern, wirken sie als Charakterzug eines militärischen Führers wie lähmendes Gift.« Oder auch: »Die Idee vom Führerkorps als ‚Spiegel der Gesellschaft‘ ist vielleicht als pluralistisches Gedankenspiel interessant, bringt jedoch auch von militärischer Perspektive aus nicht zu tolerierende Gefahren mit sich.«

Derartige Einlassungen spiegeln jenen anachronistischen, durch und durch militaristisch-antidemokratischen Gesinnungsoffiziersdünkel wider, der wie ein roter Faden die desaströse Geschichte deutschen Militärs vom kaiserlich-preußischen Heer über die Weimarer Reichswehr bis hin zu Wehrmacht und Waffen-SS durchzieht. Zugleich lassen seine Ausführungen auf Defizite im Bereich politisch-moralischer Urteilskraft sowie die Unfähigkeit zur re­flektierten Auseinandersetzung mit dem Imperativ solda­tischen Handelns schlechthin schließen, die der Spiritus Rector der »In­neren Führung«, Wolf Graf von Baudissin, auf den Punkt brachte, nämlich: »Soldatische Existenz heißt, in Verantwortung und Gewis­senstreue leben.« Das genaue Gegenteil repräsentiert jener nur vorgeblich »unpolitische« Oberleutnant vom Format eines Westentaschen-Ludendorffs. Würde sich solch militaristisch-faschistoider Ungeist in­nerhalb der Bundeswehr sowie in Politik und Gesellschaft tatsächlich auf breiter Front und dauerhaft durch- und festsetzen, wären dieses Land und seine Streitkräfte erneut dort angekommen, wo unsere Vorväter schon einmal standen: ganz tief im Morast der deutschen Geschichte.