Am Tierpark gibt’s Bananen

Wilfried Bergholz reist zurück in die 80er Jahre

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 2 Min.

Wer im Stadtbild ein Paradebeispiel für die Rasanz des gesellschaftlichen Wandels der vergangenen drei Jahrzehnte sucht, wird fündig in der Gegend um die Schönhauser Allee. Nicht nur die Fassaden der alten Häuser erscheinen wie ausgetauscht, nein, auch die Menschen dahinter. Eine mentale Zeitreise in die 80er Jahre verheißt eine Veranstaltung, die an diesem Donnerstagabend in der nahe gelegenen »Bibliothek am Wasserturm«, gegenüber der Immanuelkirche stattfindet.

Der Prenzlauer-Berg-Dichter Wilfried Bergholz liest dort Miniaturen, Skizzen und Gedichte, die er 1987 in seinem Buch »Umsturz im Kopf« veröffentlichte und durch Lesungen in Privatwohnungen unter die Leute brachte. Sein Samisdat-Büchlein hatte damals eine bescheidene Auflage von 55 handgefertigten Exemplaren, die man sich ausleihen konnte und nach zwei Wochen zurückbrachte. Im Laufe der Zeit gingen sie sämtlich verloren - bis auf eines, das zur Grundlage für einen soeben erschienenen Nachdruck mit Originaleinband wurde.

Eine kurze Geschichte aus dem Oktober 1985 etwa handelt von der »Kauflust« der »halben Bevölkerung dieses Landes«, die zum Verdruss der ansässigen Bohème in den Läden der Schönhauser Allee auf Beutezug ging: »Käme doch endlich einer vorbei mit Bananen im Netz und der Auskunft, selbige würden am Tierpark feilgeboten. Was für eine himmlische Ruhe hätten wir hier am Viadukt. [...] Kein Stehplatz bliebe in der U-Bahn frei. Der Schwarzmarkt blühte. Ein Fahrschein für zwanzig Mark.« Nun, Bananen gibt es heute überall bis zum Überdruss, und die Fahrkartenpreise sind - ganz ohne Schwarzmarkt - gigantisch in die Höhe geschossen. Danke, freie Marktwirtschaft! Himmlische Ruhe? Man sollte mal in den »Schönhauser Allee Arcaden« fragen, ob sie die vorrätig haben.

Wilfried Bergholz, Jahrgang 1953, arbeitete in der Redaktion von Jugendradio DT 64, studierte Psychologie und war in der DDR als freier Journalist und Schriftsteller tätig. Er moderierte Auftritte von Schriftstellern und Liedermachern und war Mitbegründer des Kindermusiktheaters »Ulf und Zwulf«, für das er dichtete und gelegentlich komponierte. Vor zwei Jahren erschien seine Autobiografie »Die letzte Fahrt mit dem Fahrrad - 19 Gespräche mit Matteo über Mut, Glück und Aufbegehren in der DDR«.

Die Wiederveröffentlichungspremiere des Buches wird musikalisch begleitet von Peter Butschke, dem Sänger und Gitarristen des Folkrock-Duos Pension Volkmann, das seinerzeit mit musikalischer Virtuosität und mit Texten von Werner Karma reüssierte. Adelheid Wedel, einst Redakteurin beim »Sonntag«, moderiert.

11. Mai, 20 Uhr, Prenzlauer Allee 227/228, Eintritt frei.

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