nd-aktuell.de / 17.05.2017 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 16

Gehören Konzerne zur Zivilgesellschaft?

Bei der UN-Klimakonferenz in Bonn wird der Lobbyismus der Energiewirtschaft problematisiert

Susanne Schwarz, Bonn

In der UN-Rahmenkonvention zur Eindämmung des Tabakkonsums steckt eine kleine, unscheinbare Revolution: »Wenn Länder Gesetze zur öffentlichen Gesundheit in Bezug auf eine Eindämmung des Tabakkonsums schaffen, sollen sie diese vor den kommerziell oder anders begründeten Interessen der Tabakindustrie schützen«, heißt es in Artikel 5.3 des Abkommens. Mit diesem Satz betrat die 2003 von der Weltgesundheitsorganisation angenommene Konvention Neuland - anti-lobbyistisches Neuland.

Vielen Klimaschützern dient dies als Vorbild. Wenn sich die Klimadiplomaten der UN-Staaten, wie derzeit in Bonn, zu einer Zwischenkonferenz treffen, dürfen Kohle-, Öl- und Gaskonzerne oder von ihnen finanzierte Organisationen am Rande des Verhandlungsparketts sitzen, auf den Gängen Werbestände aufbauen und sich mit den Verhandlern treffen. Für die Menschenrechtsanwältin Tamar Lawrence-Samuel von der Anti-Lobbyismus-Organisation »Corporate Accountability« ein Skandal: »Seit mehr als 20 Jahren nimmt die konventionelle Energiewirtschaft an den UN-Klimakonferenzen teil und hat deren Ergebnisse abgeschwächt.« Für Lawrence-Samuel ist klar: Wer Geld im Spiel hat, darf nicht die Spielregeln schreiben oder den Prozess beeinflussen.

Die Konferenz in Bonn könnte den Grundstein dafür legen. Erstmals überhaupt haben die Diplomaten in offiziellen Verhandlungen über die Ergebnisse gesprochen. Das klingt erst einmal nicht nach viel, ist aber ein großer Schritt. Im UN-Klimaprozess gilt nämlich nur, was er selbst hervorbringt - wird nicht in offiziellem Rahmen über ein Thema geredet, hat die Debatte quasi nicht stattgefunden.

Diskutiert wird dabei auch, wer eigentlich zur sogenannten Zivilgesellschaft gehört. Momentan haben die Kohlelobbyisten der World Coal Association denselben Beobachterstatus wie die Umweltschützer von Greenpeace. Da Unternehmen aber keine öffentlichen Interessen vertreten, ist etwa für den Politikwissenschaftler Achim Brunnengräber von der Freien Universität Berlin klar, dass sie nicht in einen Topf mit Umweltorganisationen gehören. »Unternehmen gehören nicht zur Zivilgesellschaft, sondern zur Privatwirtschaft«, sagt er. Die Vereinten Nationen würden unter NGO alles fassen, was keine Regierung ist - unabhängig vom Interessengemenge. »Eine solche Undifferenziertheit hilft der Bürokratie, aber weder der Gesellschaft noch der Wissenschaft«, so Brunnengräber.

Unter den vertretenen Umweltschützern im Konferenzzentrum in Bonn herrscht allerdings auch keine Einigkeit, was den Zugang von Lobbyisten angeht. »Ganz allgemein ist es eine gute Idee, alle Perspektiven von Gruppen in Betracht zu ziehen, die von der Politik beeinflusst werden«, meint Paula Caballero vom World Resources Institute. »Andernfalls verhandeln die UN-Diplomaten in einer Blase, und wenn sie in ihre Hauptstädte zurückkommen, sind sie wieder mit allen Interessen konfrontiert.«

Ein Beispiel dafür lieferte erst kürzlich die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion. Das Ergebnis: In der Energiepolitik hat die Bundesregierung zu niemandem bessere Kontakte als zur klimaschädlichen konventionellen Energiewirtschaft. Demnach trafen sich seit Juli 2014 Regierungsmitglieder mehr als 40 Mal mit Vertretern des Energiekonzerns E.on und fast genauso oft mit RWE. Eine große Umweltschutzorganisation wie Greenpeace kommt dagegen nicht einmal auf ein Dutzend Gespräche. Wichtiger noch: Die Gespräche, die Konzerne mit der Regierung führen, sind besonders häufig Spitzengespräche. So hatte die Kanzlerin höchstpersönlich Zeit für die Chefs von E.on und RWE, aber auch für jene der Ölmultis BP und Shell. Für ein Treffen mit einem Vertreter der erneuerbaren Energien oder gar einen Umweltschützer fand Angela Merkel hingegen keinen Platz in ihrem Kalender.

Lobbykritikerin Lawrence-Samuel erhofft sich, dass das Thema Interessenkonflikte nun weiter auf den Tagesordnungen der Klimagipfel landet - an eine schnelle Lösung glaubt sie aber nicht: »Das Anliegen ist umstritten, kompliziert und ambitioniert - aber so sind eben Dinge, die die Welt verändern.«