nd-aktuell.de / 17.05.2017 / Berlin / Seite 10

Sonntags Lob, montags kein Geld

Gewerkschaft GEW kritisiert, dass Mitarbeiter freier Träger weit unter Tariflohn arbeiten

Ellen Wesemüller

879 Euro weniger im Monat - das ist der extremste Lohnunterschied zwischen Angestellten des öffentlichen Dienstes und denen freier Träger. Vorgestellt wurde diese Rechnung am Dienstag von der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW), zusammen mit einigen Betriebsräten. Ihre Kritik: Nachdem die Gewerkschaften mit dem Senat im Februar einen neuen Tarifvertrag (TV-L) abgeschlossen haben, klafft die Gehaltslücke zwischen den Angestellten nun noch weiter auseinander. »Unsere Arbeit soll endlich wertgeschätzt werden«, sagt Steffen Luschke, Betriebsrat beim Notdienst für Suchtmittelgefährdete. »Wir sind es satt, am Sonntag zu hören, wie wichtig unsere Arbeit ist, und am Montag gibt es dann kein Geld.«

Auf eine Differenz von zwölf Prozent kommt der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin, in dem rund 700 zumeist kleine freie Träger organisiert sind. Auf 7 bis 23 Prozent kommt die Gewerkschaft, denn Jüngere werden, im Kampf um Fachkräfte, meist wesentlich besser bezahlt. »Das spaltet die Belegschaft«, sagt Matthias Silze, Betriebsrat der Pinel gGmbH.

Deshalb haben sich die Betriebsräte von 56 freien Trägern zusammengetan und einen Appell geschrieben, der gleich zwei Adressaten hat: die Arbeitgeber und den Senat. Die Wohlfahrtsverbände sollen sich dafür einsetzen, dass sich die Gehälter auf Tarifniveau entwickeln. Außerdem sollen sie Gelder, die für Löhne vorgesehen sind, nicht für Dinge wie Strom und Miete ausgeben. »Entgelte werden benutzt, um andere Bereiche querzufinanzieren«, sagt Andreas Kraft, Leiter des Bereichs Kinder- und Jugendhilfe bei der GEW. Der Paritätische Wohlfahrtsverband rate außerdem seinen Mitgliedern, keine Tarifverträge abzuschließen. Nur zwei der freien Träger hätten einen solchen vorzuweisen.

»Es spricht nichts gegen einen Tarifvertrag«, sagt hingegen Martin Hoyer, stellvertretender Geschäftsführer des Paritätischen Berlin. »Nur den TV-L können wir derzeit nicht empfehlen.« Das Argument gegen den Tarifvertrag lautet »Refinanzierung«. Freie Träger bekommen über die Sozialämter der Bezirke öffentliche Gelder zugewiesen. Der Großteil wird über Tagessätze finanziert, die den Betroffenen laut Sozialgesetzbuch zustehen, sogenannte Entgelte. Der Senat sagt, er habe hier nachjustiert: Die Steigerung des TV-L sei im Nachtragshaushalt vom März berücksichtigt worden, sagt Iris Brennberger, Sprecherin der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie. »Das Geld steht den Bezirken zur Verfügung.« Doch weil es in den Globalsummenhaushalt fließt, muss der Bezirk das Geld nicht unbedingt an die Träger weiterleiten.

Und ein zweites Problem gibt es: Sachmittel, wie Beratungsangebote, auf die es keinen Rechtsanspruch gibt, werden nicht ausreichend mitfinanziert, so die Verbände. »Es gibt nur eine in homöopathischen Dosen gesteigerte Zuwendung«, sagt Hoyer. Mit fatalen Folgen: »Sachkosten verschwinden in Personalkosten.«

Dieses Problem sieht auch die Gewerkschaft. Nicht zuletzt deshalb richtet sich ihr Appell auch an den Senat. Er soll dafür sorgen, dass die freien Träger genug Geld bekommen, um tarifgerechte Löhne zu zahlen. »Es gab von Rot-Rot-Grün eine Absichtserklärung - daran müssen sie sich messen lassen«, sagt Gewerkschafter Kraft.

Die Koalition wollte sogar mehr: Eine Arbeitsgruppe aus Bezirken und Wohlfahrtsverbänden einsetzen, um die Vergabe der Mittel besser zu steuern und zu kontrollieren. Bis Ende 2017 sollten erste Vorschläge formuliert werden. Zweimal hat sie bereits getagt - allerdings ohne die Verbände. Diese sollen erst im Laufe des Jahres dazukommen, sagt Eva Henkel, Sprecherin der Senatsverwaltung für Finanzen.

Die GmbHs und Vereine der freien Träger stehen im Wettbewerb und damit manchmal sich selbst im Weg. Dirx Brennemann, Betriebsrat von SEHstern, sagt: »Es haben sich 56 Betriebsräte zusammengefunden, aber keine 50 Arbeitgeber, die sich organisieren und sagen: ›Wir wollen, dass das besser refinanziert wird.‹«