nd-aktuell.de / 22.05.2017 / Kultur / Seite 3

Realistische Nachahmung

Was ist ein Tribunal?

Wie so oft in der Geschichte deutschsprachiger Alltagsbegriffe und Redewendungen, so geht auch die Popularisierung des Wortes »Tribunal« auf einen gewissen Friedrich Schiller zurück. In seiner Ballade »Die Kraniche des Ibykus« (1797) verwendete er den Terminus, um die Verwandlung eines Theaterpublikums zur juristischen Instanz zu kennzeichnen: »Die Szene wird zum Tribunal.« Es ist also auch diesem Dichter der Freiheit zu verdanken, dass Nichtregierungsorganisationen mit Mitteln des Theaters heute eine Bezeichnung zugunsten ihrer liberalen Ziele vereinnahmen können, die über Jahrhunderte hinweg für Repression und Gewalt stand.

Denn eigentlich findet der Begriff des Tribunals seinen Ursprung im antiken Rom. Dort bezeichnete man so eine Erhöhung, die die Legitimation zur Machtausübung eines Amtsträgers oder Feldherren im Lager und der Statthalter in den Provinzen symbolisch ausstellte. In Preußen verstand man das Tribunal später als Synonym für die höchste Gerichtsbarkeit, später für politische Sondergerichte. Eines der wenigen positiv besetzten Beispiele ist das UN-Kriegsverbrechertribunal.

Immer wieder wurde der Begriff in der jüngeren Zeitgeschichte von politischen Aktivisten genutzt, um Missstände auf nationaler oder internationaler Ebene anzuprangern. International bekannt wurden etwa die Russell-Tribunale, die 1966 die US-amerikanischen Verbrechen im Vietnamkrieg untersuchten und dokumentierten. 1995 initiierten humanitäre Organisationen das Internationale Menschenrechtstribunal gegen die Republik Österreich wegen Verfolgung und Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen.

Zuletzt gelangte im deutschsprachigen Raum das bislang umfassendste Tribunal zu Prominenz: Beim Kapitalismustribunal befand sich im Mai des vergangenen Jahres im Brut Theater Wien das global dominante Wirtschafts- und Gesellschaftssystem auf dem Prüfstand. Binnen sieben Tagen wurden sämtliche Klagen, die von jedem vorab eingereichten werden konnten, öffentlich vorgetragen und diskutiert.

Meist stellen Schauspielhäuser ihre Räume für solche Tribunale zur Verfügung. Das liegt nahe, denn Theaterkünstler entwickelten jene Methoden der realistischen Nachahmung, die Aktivisten bei den Tribunalen nutzen. Damit hauchen sie dem berühmtesten Spruch von Friedrich Schiller neues Leben ein: »Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.« cba