nd-aktuell.de / 22.05.2017 / Kultur / Seite 14

Alles gehört allen

Thomas Ebermann hat den Reformationsroman »Q« von Luther Blissett für eine szenische Lesung bearbeitet

Im Lutherjahr 2017 wird viel über die Geschichte der Reformation geschrieben und geredet. Das Autorenkollektiv Luther Blissett erzählt in seinem Roman eine ganz andere Geschichte. Welche?
Im Roman »Q« ist Luther der Fürstenknecht. Zunächst aber ruhen große Hoffnungen auf ihm. Auch Thomas Müntzer und der Protagonist des Romans, ein namenloser Revolutionär, der im Lauf der Jahre durch ganz Europa reist, sind als ganz junge Leute subjektiv Verbündete Luthers. Sie merken dann aber, dass er das Arrangement sucht oder, man könnte fast mit Friedrich Engels sagen, »sich zum Sprachrohr der Fürsten macht«, also zum Fürstenknecht wird. Insbesondere die sozialen oder, wenn man so will, die klassenkämpferischen Positionen der Strömung, die sich um Thomas Müntzer neu herausbildete, trägt er nicht mit. Wobei es ja auch davor schon große Bauernaufstände gab, wie etwa der Bundschuh um 1490. Sie werden also Feinde und fechten etwas aus, das man im allerweitesten Sinne unter Müntzers berühmteste Parole fassen kann, die immer wieder im Roman auftaucht: »Alles gehört allen«. Ein großer Satz in der Geschichte der Eigentumsfeindschaft.

Im Zentrum der Erzählung steht ein Vertrauter von Thomas Müntzer, jener namenlose Revolutionär, den wir Leser durch die Jahrzehnte über den Kontinent begleiten und der sehr wandlungsfähig ist. Ist er ein Prototyp des erfolgreich scheiternden politischen Aktivisten?
Ich nehme an, dass diese revolutionsromantische Lesart für viele bei der Lektüre des Romans eine große Rolle gespielt hat. Luther Blissett arbeiten ja mit verschiedenen Methoden. Sie recherchieren sehr sauber und geben uns so etwas wie Geschichtsunterricht im allerbesten Sinne, schildern also Abenteuerliches, knappes Überleben, wo alle anderen dann dem Tod geweiht sind und geschlachtet werden. Die Opfer werden sehr einfühlsam geschildert. Nahezu alle sind tot nach den Bauernkriegen, aber einer entkommt.

Und der ist dann in ganz Europa unterwegs. Anhand seiner Geschichte wird eine ganze Epoche aufgerollt.
Ja, erst geht es zu den Wiedertäufern nach Münster. Der namenlose Protagonist ist dabei. Wieder ein Gemetzel, alle sind tot, aber er entkommt. Dann kommt er nach Antwerpen in eine Lebensreformkommune, die gegen alle Konventionen der Zeit lebt. Die Inquisition wird ihnen auf den Hals gehetzt, alle werden hingerichtet, er entkommt. Also ein Protagonist, mit dem wir die großen Stunden der Siege und die dazugehörigen Feiern erleben. Und fast auch die Gewissheit: Jetzt wird die Welt nicht mehr sein, wie sie war. Aber wir erleben auch das, was der Engel der Geschichte in Walter Benjamins berühmtem Bild zu betrachten gezwungen ist: diese ungeheuren Niederlagen, die für mich dieses Wort von Benjamin - »Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben« - plausibilisieren. Ich glaube nicht, dass man sagen soll, für unsere heutigen Kämpfe oder für unsere Ideologiekritik oder für das, was wir an materiellen Gewalten vorfinden, kann uns dieser Roman ein Wegweiser sein. Dafür sind 500 Jahre eine zu lange Zeit, denn in dem Romangeschehen befinden wir uns vor der Aufklärung, und Thomas Müntzer war außerdem ein Mystiker.

Wie bringt man 800 Buchseiten auf eine Bühne? Was erwartet die Zuschauer der szenischen Lesung, die Sie daraus gemacht haben?
Aus 800 Seiten zwei Stunden zu machen und dabei die Stimmung zu erhalten, war wirklich nicht einfach. Die Kapitel haben ja sehr unterschiedliche Farben, einige sind offen militant und kämpferisch, andere beschreiben Zeitphänomene oder sind mehr philosophierend. Berthold Brunner, mein Co-Autor, und ich haben sozusagen verschiedene Spielorte gefunden. In Konstantinopel blickt ein alter Mann darauf zurück, was er in den letzten 30 Jahren erlebt hat. Damit er darüber sprechen kann, sitzt zumeist neben ihm seine Geliebte Beatriz, die Jüdin, die aus Portugal und Spanien fliehen musste und die wir am Ende des Romans kennenlernen. Sie darf nachfragen und kritische Anmerkungen machen, so etwas wie: »Wir Juden hatten oft gute Gründe, die Reformatoren gleichermaßen wie die katholische Inquisition zu fürchten.« Sie darf aus weiblicher und jüdischer Sicht etwas sagen und kommentieren. Dann sind wir in Mühlhausen, in Münster oder in Antwerpen. Außerdem gibt es noch die Inquisition und den Vatikan, wo der titelgebende Q agiert. Das ist ein wichtiger Spannungsmoment im Roman, wer wohl dieser Q ist. Wir verraten das hier nicht. Das ist dann eben auch ein bisschen Geschichtsunterricht, wie das ganze Buch.

Szenische Lesung am 22. Mai, 20 Uhr, Festsaal Kreuzberg, Am Flutgraben 2