nd-aktuell.de / 30.05.2017 / Politik / Seite 3

Bürgermeister sucht Lenin-Ersatz

Eine Lücke im Zentrum schreit nach einem Denkmal

Seit Herbst 2014 steht das Lenin-Denkmal nicht mehr auf dem zentralen Freiheitsplatz in Charkiw. Seitdem ist die Stadt auf der Suche nach einem Ersatz - bisher vergeblich.

Viele Charkiwer blicken auf den 28. September 2014 mit traurigen Gedanken zurück. Denn früher war das Lenin-Denkmal auf dem zentralen Freiheitsplatz das offizielle Markenzeichen der zweitgrößten Stadt der Ukraine. Schließlich sind auch die Nostalgiegefühle der Bevölkerung an die Sowjetunion den Umfragen zufolge in Charkiw am Größten. Doch lange konnte das dortige Lenin-Denkmal trotzdem nicht überleben: An jenem Septembertag wurde es von den Teilnehmern einer proukrainischen Demonstration unter dem Slogan »Charkiw ist die Ukraine« abgerissen. Dem Bericht der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zufolge wurden die Denkmalstürmer von Kämpfern des rechtsradikalen Bataillons »Asow« angeführt.

Es folgte eine Welle der Empörung. Bürgermeister Hennadij Kernes versprach sogar, das Lenin-Denkmal wieder aufzubauen. Spätestens seit dem Inkrafttreten des »Entkommunisierungsgesetzes«, das die Nutzung sowjetischer Symbolik in der Ukraine verbietet, ist der von vielen beliebte und wohl ebenso vielen gehasste Gedenksteig Geschichte. Nun beschäftigt Charkiw aber ein anderes Dilemma: Was soll auf Lenin auf dem Freiheitsplatz folgen? Ideen gab es genug, unter anderem ein großes Kreuz oder auch eine Statue von Stepan Bandera, dem Anführer der Organisation der Ukrainischen Nationalisten und Nazi-Kollaborateur im Zweiten Weltkrieg. Dies war allerdings nicht durchsetzbar, denn Bandera ist in Charkiw - anders als in der Westukraine - nicht besonders beliebt.

Vorerst hat sich die Charkiwer Stadtverwaltung für gar keinen Lenin-Ersatz entschieden. »Es wird kein anderes Denkmal geben«, hieß es in einem Statement. Und trotzdem verkündete Bürgermeister Kernes im September eine Ausschreibung für ein Denkmalprojekt. Es siegte ein Gedenkstein in der Form eines Engels, der von vier verschiedenen Figuren umgeben wird.

Dieses Projekt hat allerdings die Charkiwer nur wenig überzeugt: Seitdem laufen Proteste gegen die Entscheidung der Stadtverwaltung. Ende März hat dann ein Charkiwer Gericht die Entscheidung wegen ungenügenden Zeitrahmens und Intransparenz für ungültig erklärt. Offenbar muss Charkiw noch länger auf seinen Lenin-Ersatz warten. Die Situation ist beispielhaft für all das, was sich in der Ukraine generell im Zuge der Entkommunisierung abspielt. Denis Trubetskoy