nd-aktuell.de / 30.05.2017 / Kultur / Seite 16

»Vom Westen lernen heißt Schamhaare entfernen«

Konrad Potthoff gibt in seinem Roman »Gottfried schwängert den Tod« seinem Affen reichlich Zucker

Horst Matthies

Klaus-Peter ist eigentlich Gottfried, aber das weiß er lange nicht. Doch hält das Leben Begegnungen für ihn bereit, die ihm schließlich bewusst machen, dass er nicht der Sohn des »deutschen Inschenörs« sein kann, der in ihm einen künftigen Technik-Nobelpreisträger heranzuzüchten versuchte.

Er erfährt also nichts Neues, als ihm dies eines Tages vom Tod persönlich offenbart wird. Der war zugegen, als ein ehemaliger Lazarettarzt und eine kurzzeitig vom Glauben gefallene Nonne im wortlosen Einverständnis den unter der Geburt verstorbenen Sohn des Inschenörs, nämlich Klaus-Peter, gegen den Sohn einer unter der Geburt verstorbenen Russischlehrerin austauschten, dessen Erzeuger, ein Offizier der Roten Armee, zum Schutz der sozialistischen Ethik und Moral nach Kamtschatka versetzt worden war, um dort das letzte Exemplar der Stellerschen Seekuh vor der Ausrottung durch hungrige Küstenbewohner zu bewahren.

Dies alles ereignete sich im fünften Jahr nach dem letzten großen Krieg, weshalb der Tod von seiner dabei übermäßig beanspruchten Seelenfängerei offenbar noch etwas müde war und ihm deshalb das Seelchen des tatsächlichen Klaus-Peter entschlüpfte. Nun hofft er, beim absehbaren Dahinscheiden des Falschen auch der Seele des Richtigen habhaft zu werden, weshalb er ihn nicht aus den Augen lässt.

Dieses Ableben aber zieht sich hin und so erfährt der Leser nicht nur, wann und wie und wo Gottfried bewusst wird, wer er eigentlich ist, sondern auch so manches andere, was mit diesem sich dahinziehenden Leben zu tun hat. Dieses aber vollzieht sich über weite Strecken in dem vom Tod »Ländle« genannten Teil Deutschlands, in dem auch in Liebe gezeugte Nachkommen sowjetischer Offiziere möglich waren.

Und weil die Perspektive des Todes als Erzähler logischerweise etwas abständiger ist als die von Leuten, die in diesem Ländle gelebt haben (egal, ob sie es liebten oder hassten), überwiegt hauptsächlich eine von Ironie geprägte Sicht auf die damit verbundenen Vorgänge und Umstände. Wobei das System der Handreichungen übern Gartenzaun zur Lösung des Widerspruchs zwischen Angebot und Nachfrage ebenso berücksichtigt wird wie die feudalistische Struktur der Lenkung und Leitung, die Mimositäten im Verein der Staatsschriftsteller, die Aktivitäten der Abteilung »Kunst und Käse« des alles durchwirkenden Sicherheitsapparates, Musterung, Dienst und Ausmusterung bei den Kalaschnikow-Trägern, das Bildungs- und Gesundheitswesen und immer wieder auch der Bereich der bedenkenlos oder aus Berechnung erfolgenden Zusammenführung lustspendender Körperbereiche von Menschen unterschiedlicher oder gleichgeschlechtlicher Natur.

Der Autor siedelt die Romanhandlung in einer am Fluss Salle gelegenen Stadt an - mit von Karbiddünsten geschwängerter Luft, einer Universität und einem zum FDJ-Jugendklub ausgebauten mittelalterlichen Turm. Kenner der dortigen Szene werden deshalb am Entdecken von Bekanntem und Bekannten ihre besondere Freude haben.

Aber auch allen anderen kann ich das vergnüglich zu lesende Kompendium von 466 Seiten als aufschlussreiche Lektüre durchaus empfehlen. Zumal der Autor seinem Affen beim Schreiben sichtlich Zucker gegeben hat. Wenn ich zuweilen auch den Eindruck hatte, dass er über dem eigenen Spaß daran manchmal die Tinte nicht halten konnte und dachte: Warum denn das nun auch noch?!, blieben Ausflüge, die nach meinem Empfinden wenig mit der Hoffnung des Todes auf Gottfrieds Dahinscheiden zu tun haben konnten, dann doch nicht ohne persönlichen Erkenntnisgewinn.

Zum Beispiel, als er beide Anfang der 90er Jahre an den FKK-Strand von Prerow reisen lässt. Die Beobachtung, dass die Besucherinnen aus dem Westen sich erst dann auch des unteren Tells ihrer Bikinis zu entledigen begannen, als zunehmend auch Frauen aus dem Osten zum Rasierapparat griffen, kommentiert Gottfried mit dem Satz: »Vom Westen lernen heißt Schamhaare entfernen.« Was mich den Spruch von den enormen Lernleistungen der DDR-Bürger im Zusammenhang mit ihrer Einvernahme in das bundesdeutsche Wertesystem in einem völlig neuen Licht sehen lässt.

Warum aber Gottfried dann auch noch in die Lage kommt, den Tod zu schwängern, sollte sich der Leser selbst erschließen. Viel Spaß dabei!

Konrad Potthoff: Gottfried schwängert den Tod. Roman. Salomo publishing. 466 S., br., 15 €.