nd-aktuell.de / 30.05.2017 / Kultur / Seite 15

Nachts wurde er ein anderer

Kriminelles aus der DDR

Peter Kirschey

Was treibt die Kriminalliteratur nicht alles, um Mord und Mörder in verkaufsträchtige Geschichten zu verpacken? Doch nichts ist spannender und zugleich absurder als die Realität des Verbrechens. Drei Kriminalfälle aus DDR-Zeiten bieten uns Frank-Rainer Schurich und Remo Kroll. Die beiden sind vom Fach, seit Jahrzehnten mit den düsteren Seiten des menschlichen Daseins befasst. Die drei sehr unterschiedlichen Fälle, die sie beschreiben, haben eines gemeinsam: Bei den bösen Buben handelt es sich um Wiederholungstäter. Sie können es nicht lassen, immer und immer wieder Straftaten zu begehen. Bis sie erwischt werden. Oft auf banale, zufällige Weise, ohne jegliche dramatische Zuspitzung. Was aus den drei Tätern nach Verurteilung und Gefängnis geworden ist, erfahren wir nicht. Nach Verbüßung ihrer Strafen haben sie irgendwo und irgendwie ein neues Leben begonnen - auch wenn es nach den beschriebenen Verbrechen die Vorstellungskraft arg strapaziert.

Die erste Geschichte beschäftigt sich mit einem Mann, der rund um den Berliner Stadtbezirk Marzahn die manipulative Wirkung von Telefonaten an Kindern und Frauen testet. Er treibt als angeblicher Mitarbeiter der »Neuen Fernseh-Urania« am Telefon Frauen dazu, sexuelle Spiele an sich selbst vorzunehmen. Viele der Angerufenen machen - völlig überrumpelt - mit. Er will Kinder per Anruf dazu bringen, sich selbst oder die Geschwister zu ermorden, setzt sie dabei unter massiven psychischen Druck. DDR-Bürger hatten in der Regel ein völlig anderes Verhältnis zu Kriminalität, ein naives, gutgläubiges. Umhüllt vom Gefühl der Sicherheit lebte man in den sozialistischen Alltag. Die gefühlte Sicherheit ist ein wesentlich besseres Gefühl als die gefühlte Unsicherheit, die uns heute von allen Seiten packt. Für den Täter wurde der Ring immer enger, schließlich hat die Polizei Gewissheit und packt zu.

Der zweite Fall: Ein dreist und millimetergenau vorbereiteter Postraub in den 1970er Jahren in der Ostberliner Mitte. In einem Bekennerschreiben täuscht der Täter humanitäre Motive vor, dabei ist er ein gewöhnlicher Verbrecher. Irgendwann ist auch er dran. Und schließlich ein Sexualtäter, der in Senftenberg sein Unwesen treibt. Er öffnet Fenster, Türen und dringt bei den ahnungslosen Opfern ein, um sie zu berühren. Der Mann, das ist das Unfassbare, ist Arzt in einem Krankenhaus, der in der freien Zeit sein perverses Doppelleben auslebt.

Schurich und Kroll versuchen nicht, künstlich Spannung aufzubauen. Sie lassen die Akten sprechen. Und die sagen mehr über das Geschehen als pseudokriminalistische Effekte. Es ist die mühsame, oft erfolglose, immer wieder von Rückschlägen geprägte Schreibtischarbeit, die die Kriminalisten leisten müssen. Das professionelle Zusammensetzen von Mosaiksteinen zu einer Zeit, da die Kriminaltechnik bei Weiten noch nicht die heutigen Möglichkeiten hatte.

Frank-Rainer Schurich, Remo Kroll: Postraub am Spreekanal. Verlag Bild und Heimat. 249 S., geb., 12,99 €.