nd-aktuell.de / 01.06.2017 / Sport / Seite 19

Filigran und effektiv

Die deutsche Nationalspielerin Dzsenifer Marozsan will Olympique Lyon im Finale gegen Paris zum Champions-League-Triumph führen

Frank Hellmann, Cardiff

Es passierte noch in der tristen Jahreszeit, dass die Regisseure in der Frankfurter Arena aus dem Staunen nicht heraus kamen. Es lief ein aufwendiger, fünfstündiger Werbedreh der deutschen Frauen-Nationalmannschaft, als Dzsenifer Marozsan damit beauftragt wurde, die Kunststoffkugel zielgenau in den Winkel zu hämmern, in dem auch eine Kamera angebracht worden war. Mit einem knallharten Schuss zerschmetterte die Kapitänin die teure Technik. Das Gelächter war groß, der Fernsehspot trotzdem im Kasten - und eigentlich hatte Deutschlands beste Fußballerin doch nur wieder Zeugnis ihrer besonderen Fähigkeiten abgeliefert.

»Sie ist krass drauf und bringt alles mit: vereint Übersicht mit Spielwitz, zeigt dazu ein gutes Defensivverhalten und ist für jede Offensive eine Bereicherung«, sagt Steffi Jones. Kaum jemand auf der Welt könne ein Spiel so gut lesen wie ›Maro‹.

Davon will sich die Bundestrainerin im Cardiff City Stadium selbst überzeugen, wenn im Westteil der walisischen Hauptstadt an diesem Donnerstag das Finale der Champions League zwischen Olympique Lyon und Paris St. Germain steigt. Marozsan nimmt im Gegensatz zu den EM-Kandidatinnen Pauline Bremer und Josephine Henning beim Titelverteidiger Lyon eine Schlüsselrolle ein und kann überdies das zweite Mal - nach 2015 mit dem 1. FFC Frankfurt - die Königsklasse gewinnen.

Kürzlich hat die 73-fache Nationalspielerin die Trophäe zur »meilleure joueuse« empfangen, der besten Spielerin der französischen Liga. »L’Equipe« veröffentlichte vor dem Pokalfinale gegen PSG (7:6 nach Elfmeterschießen) die Story »Marozsan, c’est pas Morgan« (Marozsan ist nicht Morgan), in der die These vertreten wurde, dass die deutsche Strategin mit ihrem filigranen Stil inzwischen einen größeren Einfluss besitze als der amerikanische Weltstar Alex Morgan mit ihrer Athletik. Die eine mag schillernder (Morgan) sein, die andere aber effektiver (Marozsan).

Tatsächlich hat nach sieben wechselhaften verletzungsanfälligen Jahren in Frankfurt eine Weiterentwicklung stattgefunden, die nicht alle von der in Budapest geborenen, in Saarbrücken aufgewachsenen Tochter des ungarischen Nationalspielers Janos Marozsan noch erwartet hatten. »Wir können messbare Ergebnisse liefern, dass sie seit ihrem Wechsel nach Frankreich schneller und athletischer geworden ist«, sagt Jones. Die 44-Jährige hat mit ihrem Amtsantritt dem wohl größten Talent unter deutschen Fußballerinnen rasch die Kapitänsrolle übertragen und damit jenes uneingeschränkte Vertrauen erteilt, das die Edeltechnikerin unter Vorgängerin Silvia Neid nicht immer bekam.

Die 25-Jährige spielt mannschaftsdienlich. Speziell bei Auftritten im Nationaltrikot wurde sie häufig extern weniger wertgeschätzt als intern. Wie sehr sie sich inzwischen selbst in der Verantwortung sieht, war jüngst beim Testländerspiel gegen Kanada (2:1) in Erfurt zu beobachten: Über die Spielmacherin lief jeder Angriff, sie verteilte die Bälle.

Im Verein aber reicht das nicht aus: Umringt von fast ausnahmslos Weltklassespielerinnen arbeitet die Olympiasiegerin auch bedingungslos in der Abwehr mit. »Würde sie das nicht machen, wäre sie ganz schnell weg vom Fenster«, sagte Ralf Kellermann, nachdem sein VfL Wolfsburg im Viertelfinale an Lyon gescheitert war.

Sollte es mit der finalen Krönung klappen, »wäre es wirklich ein großartiges erstes Jahr für mich in Lyon«, sagt Marozsan. Auch menschlich habe sie der Wechsel nach vorn gebracht. »Ich fühle mich unendlich wohl.« Lyon bietet dafür nicht nur den weltbesten Kader und lukrative Verdienstmöglichkeiten, sondern auch die denkbar größte Unterstützung innerhalb eines Männervereins. Ein Volltreffer eben für Marozsan. Und damit kennt sie sich ja aus.