nd-aktuell.de / 03.06.2017 / Wissen / Seite 27

Stolz und Schmerz

Annotiert

Aus dem Sechstagekrieg zurückgekehrt, suchte Amos Oz die Eltern eines gefallenen Kameraden auf: Einige Freunde waren da. Die Mutter weinte. Der Vater biss auf seine Lippen. Ein alter Mann versuchte sie zu trösten: »Schaut, wir haben doch, trotz allem, Jerusalem befreit … Er ist doch nicht umsonst gefallen.« Da schluchzte die Mutter auf und schrie: »Die ganze Westmauer ist mir nicht einen Fingernagel von Micha wert.«

Dieser Schmerz, das unermessliche Leid der Hinterbliebenen, die Ängste, Zweifel und Traumata der Kriegsheimkehrer, aber auch Stolz auf den Sieg, teils überschwänglicher Pathos und viel religiöse Legitimierung - all dies findet sich in diesem berührenden wie erschütternden Buch. Unmittelbar nach dem Sechstagekrieg von 1967 interviewten Avraham Shapira, Professor für Judaistik und jüdischer Geschichte, der Schriftsteller Amos Oz sowie einige kritische Journalisten israelische Soldaten und Soldatinnen und Angehörige. Als die Wortprotokolle, ergänzt durch Briefe und Tagebuchaufzeichnungen, erstmals in Israel erschien, lösten sie heftige Diskussionen aus. Noch heute gelten die »Gespräche mit israelischen Soldaten« als wohl einflussreichstes Buch in Israel.

Rechtzeitig zum 50. Jahrestag des Sechstagekrieges ist es in deutscher Übersetzung neu herausgekommen, leicht gekürzt zur Vermeidung von Wiederholungen, Überholtem und Unverständlichem für deutsche Leser, wie der Verlag anmerkt.

Amram, 22 Jahre, Jugendleiter, gesteht: »Ich hatte kein schlechtes Gewissen, als ich zu schießen begann ... doch ich freute mich, als er entkam« - der junge ägyptische Soldat ihm gegenüber. Und Arie bemerkt über die Ägypter: »Ich könnte nicht sagen, dass ich sie besonders hasse.« Kibbuznik Shai, 28, Vater eines Kleinkindes, bekennt: »Mir war zu 99 Prozent klar, ... dass meine persönliche Angst und Sorge mich nicht daran hindern könnten, das auszuführen, was man während des Krieges ausführen muss.« Aber: »Ich war keine Sekunde stolz auf mich selbst.« Eine 19-jährige Soldatin notiert: »Ich ich will nicht begreifen, dass es natürlich ist, wie Menschen einander umbringen, wie sie sich gegenseitig schlachten.«

Amos Oz schreibt in seiner Einleitung: »Ich habe noch während der Kämpfe auf dem Sinai geahnt, dass dieser Sieg zum Fundament des tiefen Hasses gegen Israel werden würde ... Ich wusste, dass sie unseren Sieg und ihre Demütigung uns nicht einfach vergeben würden.« Sich erinnernd an die Zeit, als über sein Buch in der israelischen Gesellschaft gestritten wurde, beklagt er für heute »mehr Gleichgültigkeit, mehr Stumpfheit. Was derzeit in den besetzten Gebieten geschieht, überschreitet zuweilen die Grenze zu Kriegsverbrechen, aber es berührt niemanden.« Karlen Vesper

Amoz Oz/Avraham Shapira: Man schießt und weint. Gespräche mit israelischen Soldaten. Westend. 360 S., geb., 24 €.