Vom Versuch eines Besuchs - mit Tankstopp

Die Visa-Bestimmungen der USA halten nicht nur vermeintliche Terroristen fern, auch manche Durchreisende dürfen nicht landen

  • Guido Sprügel
  • Lesedauer: ca. 6.5 Min.
Es schien alles schon in trockenen Tüchern zu sein. Die eingetragenen Lebenspartner Jorge Herrero und Oliver Seeliger aus Hamburg freuten sich auf den Besuch von Jorges Familie in Costa Rica. Über vier Jahre hat Jorge sie nicht mehr gesehen. »Vorher konnte ich nicht reisen, da ich noch kein Aufenthaltsrecht in Deutschland hatte«, erklärt Jorge. In der Zwischenzeit hat er seinen Freund geheiratet und auch endlich einen Job gefunden, mit dem er einigermaßen über die Runden kommt. Anfang dieses Jahres hatten die beiden das Geld für die Reise endlich zusammen. Sie buchten die Flüge, mieteten einen Wagen und begannen, Mitbringsel zu kaufen. Der Flug ging von Hamburg über Amsterdam nach Costa Rica, so lautete die Buchungsbestätigung des Reiseunternehmens. Ebenso wie die von Martinair, der Fluggesellschaft. »1 Stopp« war vermerkt, wohl der Stopp in Amsterdam, vermuteten Jorge und Oliver.

Programm für 27 auserwählte Länder
»Ein Freund empfahl uns dann, die Route lieber noch mal genau zu prüfen«, beschreibt Jorge den Anfang vom Ende ihrer Euphorie. Als Rundfunkjournalist hatte der schon einen abgelehnten US-Visaantrag hinter sich. Was, wenn der »Stopp« in den USA lag? Ein Anruf bei Martinair brachte Gewissheit - ja natürlich, Tankstopp in Miami. Ja, und natürlich brauche Herr Herrero als Staatsbürger von Costa Rica wohl ein Visum. »Ein Visum für einen Tankstopp, das erschien uns absurd« - Oliver Seeliger ist die Wut noch anzumerken. Die Pressesprecherin von Martinair verstand die Aufregung nicht. Nun gut, der Hinweis sei »vielleicht etwas klein geraten«.
Beim Blick auf die Internetseite der US-Botschaft wird klar: Oliver ist deutscher Staatsbürger, er darf ohne Visum in den USA landen, Jorge nicht. Costa Rica ist kein Land, dass am »Visa Waiver Program« teilnehmen darf, dem Reglement, das die USA im letzten Jahr für visafreies Reisen einführte. Das »Visa Waiver Program« lief ab 1998 als Pilotprojekt und ist jetzt dauerhaft installiert. Es sieht vor, dass Touristen aus 27 Ländern, darunter viele Staaten der alten EU, kein Visum benötigen. Für die Bürger aller anderen Staaten ist ein Visum nötig, egal wie lange sie sich in den USA aufhalten.
Nach 2001 sind die Bedingungen deutlich verschärft worden. Neben dem persönlichen Erscheinen in der Botschaft werden nun immer Fingerabdrücke verlangt, klassische Transitvisa gibt es nicht mehr. Viele Anträge werden abgelehnt. Und auch Bürger der 27 Staaten kann die Visumspflicht treffen, wenn sie keinen maschinenlesbaren Reisepass haben oder länger als 90 Tage bleiben wollen. Geschäftsreisende sind hier oft genervt. »Firmen müssen neuerdings nicht nur prüfen, ob das Visa-Waiver-Programm für ihre Angestellten gilt, sondern auch, ob diese über einen maschinenlesbaren Pass verfügen«, sagt Michael Kirnberger, Präsident des Verbands Deutsches Reisemanagement.

37 Euro schon für den Interviewtermin
Jorge Herrero ist kein Geschäftsmann und kommt nicht aus einem der gelobten 27 Staaten. Neben der Terrorangst treibt die US-Behörden auch die vor illegaler Einwanderung um. »Bei Bürgern dieser Staaten (alle, außer den 27 Ländern, Anm. Red.) ist zu befürchten, dass mehr als jeder 50. Besucher illegal in den USA bleiben will«, hat die »Wiener Zeitung« einen Ministerialsprecher zitiert. Also benötigt auch Jorge für den Tankstopp ein Visum. Na gut.
»Zunächst dachten wir, das ist Routine. Jorge ist ja weder straffällig noch sonst irgendwie auffällig geworden«, erklärt Oliver. Beherzt gingen sie an die Umsetzung - und erlebten einige Überraschungen. Der Antragsteller wird zu einem Interview in die Botschaft nach Berlin gebeten. »Den Termin aber bekommt man nicht am Telefon oder per Email. Die Botschaft hat einen »Live Service« unter einer 0900 Nummer eingerichtet - für 1,86 Euro pro Minute. Dort bekam Oliver den Mitarbeiter eines Callcenters an die Strippe, der für die Botschaft die Termine vereinbart. Nach 20 Minuten und 37 Euro Telefonkosten stand der Interviewtermin fest. Am 30. Januar sollte sich Jorge um zehn Uhr für ein dreistündiges Interview einfinden. Mit Pass und den Formularen DS-156 und DS-157, einem Passbild mit weißem Hintergrund und dem Überweisungsschein über 85 Euro. Die Gebühr wird erhoben, ob man ein Visum erhält oder nicht.
»Aber Sie landen doch in den USA!« - antwortet die nette Mitarbeiterin auf die Frage, ob ein Tankstopp wirklich einen solchen Aufwand rechtfertige. Sie ist offenbar erstaunt über soviel Naivität. Die Hamburger Konsularbeamtin Alberta Espie versucht es einfühlsam. Sie erklärt, dass es »unter den schwierigen Umständen unglücklicherweise wirklich notwendig ist, ein Visum zu haben«.

Wir können Ihnen leider nicht helfen
Nach Sinn und Inhalt des Interviews gefragt, erklärt sie zuvorkommend, dass über den Inhalt nichts bekannt gegeben wird, da man ja prüfen wolle, ob der Antragsteller wirklich kein Tourist ist. Auf den Hinweis, dass man in einem Interview auch lügen könne, entgegnet sie knapp: »Wir checken das natürlich auch im PC«.
Jorge trat die Reise nach Berlin nun mit gemischten Gefühlen an. Und auch ein wenig genervt, allein für das Ausfüllen der Formulare DS-156 und DS-157 hatte er Stunden gebraucht. Vor der Botschaft in Berlin wartete schon eine Menschenschlange. Nach Leibesvisitation und Durchleuchten seiner Utensilien wurde er schließlich in einen Raum geführt. Ein Konsularbeamter erklärte den Wartenden, in welcher Reihenfolge sie ihre Dokumente zu ordnen hätten. Dann wurden die Fingerabdrücke elektronisch abgenommen.
Es folgte das Interview. »Wenn man das Interview nennen kann«, sagt Jorge. »Der Beamte hat mir, hinter Panzerglas sitzend, sechs Fragen gestellt.« Wie lange leben Sie in Deutschland? Was machen Sie in Deutschland? Warum sind sie nach Deutschland gekommen? Was haben sie in Costa Rica gemacht? Wie lange lebt ihr Vater in den USA? Was macht er in den USA? »Auf die Fragen durfte ich nur ganz kurz antworten, Nachfragen waren nicht erlaubt«, empört sich Jorge. Der Beamte tippte kurz etwas in seinen PC und verkündete: »Es tut mir sehr leid, aber wir können ihnen nicht helfen!« Nach zehn Minuten war das Interview vorbei.
»Ich wollte doch keine Hilfe - ich wollte nach Hause reisen!«, regt sich Jorge danach immer wieder auf, »ich habe versucht, Fragen zu stellen, eine Erklärung zu erhalten.« Der Beamte winkte nur ab. »Er hat mir die schriftliche Ablehnung überreicht, und das war's«. Dort heißt es nur: »Leider konnten Sie heute nicht nachweisen , dass in Ihrem Fall starke Bindungen außerhalb der USA bestehen. Die heute getroffene Entscheidung kann nicht angefochten werden.«
»Ich bin hier verheiratet, reicht das an Bindung nicht?« Jorge steht die Wut immer noch ins Gesicht geschrieben. »Wahrscheinlich haben sie Angst, dass ich illegal zu meinem Vater will, aber der lebt seit über 20 Jahren legal in den USA und hat eine Greencard. Wie sollte ich auch bei einem Tankstopp abhauen?«
Die US-Botschaften müssen in ihren Online-Foren wütende Fragen von abgelehnten Bewerbern über sich ergehen lassen. Auf die Frage des erbosten Teilnehmers bruno21, ob Reisefreiheit nicht ein Menschenrecht sei, entgegnete die US-Botschaft in Wien, dass »die Regierung der Vereinigten Staaten das Recht auf freie Reise als grundsätzliches Menschenrecht betrachte. Es besteht aber kein prinzipielles Recht auf Einwanderung in die Vereinigten Staaten.«

Flugunternehmen stellen ihre Routen um
Das Hamburger Generalkonsulat von Costa Rica vermutet, dass viele Landsleute mit ihren Anträgen in den USA scheitern. »Genaue Zahlen haben wir aber nicht«, so eine Mitarbeiterin. Auch die Redakteure der Zeitschrift Lateinamerika-Nachrichten halten eine hohe Ablehnungsquote für wahrscheinlich, vermuten aber ebenso wie der Hamburger Verein Solatino, dass viele Staatsangehörige aus Latein- und Zentralamerika mittlerweile direkt und ohne USA-Stopp fliegen. Die spanische Luftlinie Iberia, die viele Ziele in Lateinamerika anfliegt, hat reagiert. »Das Drehkreuz Miami der Iberia gibt es nicht mehr. Wir fliegen jetzt über Madrid viele Ziele direkt an«, erklärt Pressesprecherin Inge Paulus. Ein Grund seien die gesunkenen Passagierzahlen und die vielen Auflagen der US-Behörden gewesen.
Jorge Herrero und Oliver Seeliger hilft alle Wut nicht weiter. Sie haben mittlerweile neue Flüge gebucht, auch wenn die etwas teurer sind. Sie hoffen nun, einen Teil des Flugpreises zurückzubekommen. Den Aufwand wird ihnen niemand ersetzen oder das Geld für den Antrag, die Reise nach Berlin. Doch nicht...

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.