Verrückter als ein Roman

Marina Achenbach erzählt ihre Familiengeschichte mit schlichter Eleganz

  • Sabine Kebir
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist sicher die merkwürdigste Fluchtgeschichte der Welt, dass ein Berliner Theatermann, der sich vor der Gestapo aufs Dach gerettet hatte, noch einmal in seine Wohnung kletterte, um ein gerade erworbenes Krokodilbaby mitzunehmen - und es unterm Hemd bis Zagreb zu transportieren. Ado von Achenbach war nicht nur ein Menschen, sondern auch ein Tierfreund, weshalb seine Tochter Marina, als sie Jahrzehnte später wieder einmal in Zagreb ist und ihr eine Heuschrecke vom Café ins Hotelzimmer nachfliegt, der Gedanke überkommt, ihren in dieser Gestalt wiedergeborenen Vater vor sich zu haben. Die eigene Existenz verdankte sie dem Krokodil, das die Ehe der Eltern gestiftet hatte. In der südlichen Sonne ein wenig größer geworden, kroch es neugierig unter dem Sofa hervor, als eine blutjunge Journalistin den antifaschistischen Flüchtling wegen eines Interviews besuchte - und kein Erschrecken zeigte.

Die Familiengeschichte Marina Achenbachs, die vielen Lesern vor allem als aus dem Jugoslawienkrieg berichtende Reporterin bekannt ist, enthält noch viele andere Fluchtgeschichten, eine seltsamer als die andere. Der Großvater, ein adeliger Offizier, konnte den in der Münchener Räterepublik engagierten und dann inhaftierten Sohn Ado höchstpersönlich aus dem Gefängnis lotsen - analog zum Hauptmann von Köpenick -, einzig durch die Autorität seiner hochkarätigen Uniform. Und als Ados junge Familie nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Jugoslawien gefährdet ist, ermöglicht es ein Freund in der deutschen Gesandtschaft, dass sie sich einem Transport anschließen kann, der Auslandsdeutsche »heim ins Reich« bringt. Sicher im Rachen des Löwen ist man jedoch nur kurze Zeit, Ado von Achenbach landet schließlich doch im Konzentrationslager. Als Adliger wird er dort jedoch »Baron« genannt und genießt noch einmal Vorrechte: Als seine Frau für ihn ein Päckchen mit Lebensmitteln abgeben will, bietet man ihr an, den Gatten in der kommenden Nacht für ein paar Stunden ins Hotel zu bringen.

Um die Mutter geht es in dem Buch vor allem, ihr wollte Marina Achenbach ein Denkmal setzen. Schön, warm, lebensklug, stolz und unbeugsam - so muss Frau Seka gewesen sein. Eigentlich fühlte sie sich dann in der frühen DDR als Redakteurin der berühmten »ABC-Zeitung« für Kinder ganz wohl. Und sie wollte auch bleiben, nachdem ihre Ehe mit Ado an ihr Ende kam und in eine loyale Freundschaft überging. Es folgten Liebschaften mit Bodo Uhse und Alfred Kanto-rowitcz. Aber leider gab es da plötzlich das Zerwürfnis mit Jugoslawien, und die Stasi trug ihr - unter rüder Gewaltanwendung - an, als Anti-Tito-Propagandistin öffentlich aufzutreten.

Rückkehr in die Heimat schien Seka nun geraten, die sie freilich vorsichtig angehen wollte, von Westdeutschland aus. Was klug war, denn beim ersten Besuch zu Hause versuchte nun der jugoslawische Geheimdienst, sie zur antisowjetischen Agententätigkeit zu zwingen. So blieb ihr nur, sich in München niederzulassen, wo sie drei Kinder mit einfachsten Jobs aufzog. Ihr unbeirrbares Herz schlug weiter links.

Dass das Buch auf dem Umschlag als »Roman« ausgegeben wird, ist irreführend. Denn jede Zeile lässt spüren, dass die Autorin - hier zeigt sich wieder das Ethos der Reporterin - auf jegliche Versuchung zur fiktionalen Ausschmückung verzichtet und nur das von ihr selbst oder von der Mutter Erinnerte kurz und knapp wiedergibt: ungeschminkt schön.

Marina Achenbach: Ein Krokodil für Zagreb. Edition Nautilus. 224 S., geb., 19,90 €.

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