nd-aktuell.de / 08.06.2017 / Politik / Seite 4

Ein Feind des Sultans

Personalie

Sebastian Bähr

Dienstagmorgen, 6.30 Uhr. Ein türkisches Spezialkommando stürmt in der Küstenstadt Izmir die Wohnung von Taner Kiliç. Der Festgenommene ist kein Kämpfer des Islamischen Staates, sondern der Vorsitzende der türkischen Sektion von Amnesty International. Der Haftbefehl gegen Kiliç wird wie in Zehntausenden weiteren Fällen mit Verbindungen zum Netzwerk des muslimischen Predigers Fethullah Gülen begründet. Der Vorsitzende soll konkret nach Angaben der türkischen Zeitung »Hürriyet« die Messenger-App »ByLock« verwendet haben. Mit dem Programm kann anonym kommuniziert werden. Die türkische Regierung behauptet, dass Gülen-Anhänger mit dem Messenger den Putschversuch von 2016 organisiert hätten. Der Geheimdienst MIT hackte die Server des Anbieters und sammelte Nutzerdaten. Laut Amnesty International durchsuchte die Polizei neben Privaträumen auch das Büro von Kiliç und nahm 22 Anwälte fest.

Die Menschenrechtsorganisation zeigte sich erbost: »In Ermangelung glaubwürdiger und zulässiger Beweise rufen wir die türkischen Behörden auf, Kiliç und die anderen Anwälte sofort freizulassen.« Auch die Vorwürfe müssten fallen gelassen werden. »Die Tatsache, dass die türkische Säuberungskampagne nach dem Putsch nun auch den Vorsitzenden in ihren Strudel gezogen hat, zeigt, wie weitreichend und willkürlich diese Kampagne geworden ist«, so Generalsekretär Salil Shetty.

Der 1969 geborene Rechtsanwalt Kiliç war vor fünfzehn Jahren Mitbegründer der türkischen Sektion von Amnesty International, ihr Vorsitzender wurde er 2014. Laut Kollegen verfügt er über eine gute Reputation. Kiliç verteidige seit Jahren »genau jene Freiheiten, welche die türkischen Behörden jetzt zertrampeln«, sagte Shetty. In der Türkei sitzen derzeit rund 50 000 Personen im Zusammenhang mit dem Putschversuch in Untersuchungshaft. Amnesty International kritisierte erst kürzlich in einem neuen Bericht, dass die Massenentlassungen von türkischen Staatsbediensteten gegen Menschenrechte verstoßen.