Überschuldet, aber nicht chancenlos

Die Zahl der Menschen, die ihre Verbindlichkeiten nicht mehr bezahlen können, steigt seit Jahren

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Lange Zeit wurde das Problem in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Bezeichnend: Erst seit dem Jahr 2006 führt das Statistische Bundesamt zentral eine Überschuldungsstatistik. Diese beantwortet jedoch nicht die Kernfrage: Wie viele Menschen in Deutschland können ihre Schulden nicht tilgen? Für die Bundesregierung gelten zwei Millionen Haushalte als überschuldet. Insgesamt seien rund vier Millionen Personen betroffen, heißt es im fünften Armuts- und Reichtumsbericht, der im März veröffentlicht wurde.

Solchen Zahlen liegt eine recht enge Begriffsbestimmung von »überschuldet« zugrunde. Nur wer im Grunde ein Fall für eine private Insolvenz vor Gericht ist, zählt. Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform zählt mehr als die »harten Fälle«. Außerdem ist ihre Datenbasis wohl breiter: Wird ein Kredit nicht getilgt oder das Girokonto dauerhaft überzogen, landet der Fall letztlich in der Auswertung von Creditreform. Danach ist jeder zehnte Erwachsene in Deutschland überschuldet. Somit können mehr als 6,8 Millionen Menschen im Alter über 18 Jahren ihre Rechnungen derzeit nicht mehr begleichen.

Seit Jahren nimmt die Zahl der Überschuldeten trotz guter Wirtschaftskonjunktur zu. Auch die Überschuldungsquote steigt deutlich an, obwohl die Bevölkerungszahl sich spürbar erhöht hat. Zugleich werden die Chancen auf eine schnelle Beratung verbessert. Mittlerweile gibt es bundesweit 1400 Schuldnerberatungsstellen, die ohne eigene kommerzielle Interessen beraten. Träger sind Sozialverbände wie die Volkssolidarität, Kommunen und öffentliche Verwaltungen. Im Jahr 2017 werden etwa eine halbe Million Menschen eine Schuldnerberatungsstele aufsuchen - das entspricht laut der Beratungsgesellschaft Boston Consulting ziemlich genau der Zahl der Millionäre in Deutschland.

Wer die Hilfe einer Schuldnerberatungsstelle in Anspruch nehmen möchte, wartet derzeit durchschnittlich zehn Wochen auf einen ersten Beratungstermin. In zwei Drittel aller Fälle geht es sogar schneller. Dies sind Ergebnisse der »Überschuldungsstatistik 2016«, die das Statistische Bundesamt (Destatis) am Mittwoch anlässlich der bundesweiten »Aktionswoche der Schuldnerberatung« veröffentlicht hat. Diese beginnt am kommenden Montag.

Allerdings hängt für Schuldner viel vom Wohnort ab: Bei jeder zehnten Beratung betrug die Wartezeit mehr als 20 Wochen. Vor allem Großstädte gelten als problematisch, weil hier die Nachfrage besonders hoch ist. Dabei verhindert eine zügige Beratung häufig ein Abgleiten in die Schuldenfalle: Wer Zahlungsfristen versäumt oder in ein Mahnverfahren gerät, muss mit hohen zusätzlichen Gebühren rechnen. Die Folge können Stromsperren oder eine Kündigung des Mietvertrags sein. Eine schnelle Lösung gibt es allerdings selten, die Beratung dauert im Durchschnitt 16 Monate. Die Hälfte der Beratungen wurde demnach innerhalb von neun Monaten abgeschlossen.

Die Unterschiede in der Beratungsdauer entstehen durch die Unterschiedlichkeit der Fälle. Schuldner sei nicht gleich Schuldner, heißt es bei Destatis. »Überschuldung ist nicht zwangsläufig die Folge eines unangemessenen Konsumverhaltens.« Nur in elf Prozent der Fälle wurde als Hauptgrund »unwirtschaftliche Haushaltsführung« festgestellt. Oft seien Schicksalsschläge die Auslöser von Überschuldung, so die Statistiker - etwa Arbeitslosigkeit, Scheidung, Tod des Partners, aber auch Sucht, Krankheiten oder Unfälle.

Menschen in finanziellen Schwierigkeiten stehen im Schnitt mit mehr als 30 000 Euro bei ihren Gläubigern in der Schuld. Mit deutlichem Abstand bestehen die höchsten Verbindlichkeiten bei Kreditinstituten.

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