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»Nur ein Toter - das war ein Wunder«

Brückeneinsturz in Unterfranken gibt auch nach einem Jahr noch Rätsel auf

  • Christiane Gläser, Werneck
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor einem Jahr passierte auf der Autobahn 7 bei Werneck (Landkreis Schweinfurt) das Unfassbare: Während der Betonierarbeiten für den Neubau der Schraudenbach-Talbrücke stürzt ein Teil 26 Meter in die Tiefe. Und mit ihm 21 Männer. Einer von ihnen kommt ums Leben. Elf Menschen werden schwer und einige leicht verletzt. Warum das massive Traggerüst plötzlich nachgab, ist bis heute unklar. Der schriftliche Bericht einer Sachverständigen liegt noch nicht vor.

»Wir wissen nicht, was passiert ist. Waren Schrauben locker? Gab es Materialschaden? Wir haben keine Ahnung«, sagt Bauleiter Christian Ganz. Er arbeitet für das bayerische Unternehmen Max Bögl, das für die Autobahndirektion die Brücke bei Werneck neu baut. Ganz kann sich das Unglück einfach nicht logisch erklären: »Wir haben in Deutschland sehr hohe Sicherheitsstandards. Es wird ja alles doppelt und dreifach geprüft - jede einzelne Schraube.«

Am 15. Juni 2016 erfuhr Ganz telefonisch von dem Unglück. Er war noch nicht weit von der Baustelle entfernt und kehrte sofort um. »Meine ersten Gedanken waren: Hoffentlich kein Familienvater. Ich kenne ja jeden persönlich.« Das Opfer war ein verheirateter Mann mit zwei Kindern.

Beim Anblick der zerstörten Brücke dachte Ganz: »Trotzdem nur ein Toter - das war ein Wunder!« Dicke Stahlseile ragten von der Brücke bis auf den Boden. Dort lagen Stahlrohre, lange Metallseile, robuste Stahlträger und unzählige Gerüstteile meterhoch im halbfesten Beton. Wie die Teile eines wild durcheinander geworfenen Mikadospiels. Ein chaotischer Trümmerhaufen.

So sieht das auch Alexander Leis von der Autobahndirektion Nordbayern, dem Bauträger: »Ein Toter ist einer zuviel. Aber das war auch ganz großes Glück im Unglück.« Ein Bauarbeiter habe später erzählt, dass kurz vor der Katastrophe die Brücke irgendwie gewackelt habe. Die Männer waren gerade dabei, ein Teilstück des Neubaus zu betonieren. Dafür werden flüssiger Beton und Stahlbewehrungen in eine Hohlform aus Holz gefüllt. Diese Schalung steht auf dem meterhohen Traggerüst. Ist der Beton ausgetrocknet, werden die Schalenelemente entfernt und das neue Brückenteil hält von allein. Vor einem Jahr aber kamen die Bauarbeiter nicht so weit. 600 Kubikmeter Beton mit einem Gewicht von 1500 Tonnen waren bereits in die Schalung eingefüllt, als das Traggerüst unter den Männern einstürzte. Möglicherweise hat der noch flüssige Beton vielen von ihnen sogar das Leben gerettet, weil er den Aufprall quasi abgefangen hat.

Rettungshubschrauber, Technisches Hilfswerk, Bergwacht, Feuerwehr, Rotes Kreuz, Polizei, Hundesuchstaffel - mehr als 300 Menschen kämpften um das Überleben der Männer, suchten nach weiteren Verletzten und sicherten die Unglücksstelle. Zum Teil haben die Helfer mit den bloßen Händen den flüssigen Beton von den Köpfen der Verletzten weggeschaufelt, damit diese nicht erstickten. »Das sehr gut funktionierende Rettungssystem hat mich damals wirklich beeindruckt«, sagt Baudirektor Leis.

Danach wurde die Baustelle für etwa vier Wochen stillgelegt. »Es war ja alles Tatort«, erklärt Ganz. In Anwesenheit einer Sachverständigen wurden die eingestürzten Bauteile Stück für Stück abgetragen, ihre Lage und ihr Zerstörungsgrad dokumentiert. Die Auswertung wurde für November 2016 erwartet, schob sich aber immer wieder hinaus. »Wir hoffen darauf, dass es bald kommt«, sagt Staatsanwältin Ursula Haderlein. Noch ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen unbekannt. Der Sachverständigenbericht soll Aufschluss darüber geben, ob technisches oder menschliches Versagen das Unglück verursachte.

Max Bögl hat indes die Sicherheitsmaßnahmen erhöht. Das Traggerüst ist steifer, und bei jeder Betonierung vermessen Ingenieure das Traggerüst. »Damit sie sofort Alarm schlagen können«, so Ganz. Ende 2018 - ein Jahr später als geplant - soll die neue Brücke fertig sein. dpa/nd

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