nd-aktuell.de / 16.06.2017 / Brandenburg / Seite 12

Zettelwirtschaft fast abgeschafft

Die Gesundheitskarte für Geflüchtete hat sich in Brandenburg bewährt

Wilfried Neiße

Die elektronische Gesundheitskarte für Asylbewerber ist in Brandenburg fast vollständig eingeführt - aber eben nur fast. Sozialministerin Diana Golze (LINKE) will mit den beiden abseitsstehenden Landkreisen - das sind Ostprignitz-Ruppin und Märkisch-Oderland - in nächster Zeit werbende Gespräche führen.

Von 14 Landkreisen und vier kreisfreien Städten im Land haben jetzt 13 die Gesundheitskarte für ihre Flüchtlinge eingeführt und drei haben am Donnerstag ihre Bereitschaft erklärt, dies in nächster Zeit ebenfalls zu tun, sagte Golze nach einem Erfahrungsaustausch im Sozialministerium. »Seit der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte für Geflüchtete vor rund einem Jahr können wir Skepsis mit Fakten begegnen.« Die Karte habe sich bewährt. Die umständliche Zettelwirtschaft sei vorbei.

Die Gesundheitskarte verringert nach Aussage ihrer Anhänger den bürokratischen Aufwand für Behörden und Ärzte beträchtlich und ermöglicht den Asylbewerbern, die ihnen zustehenden, wohlgemerkt nur eingeschränkten medizinischen Behandlungen nach dem Asylbewerber-Leistungsgesetz problemlos zu bekommen. Zu diesen Behandlungen zählen die Therapie akuter Erkrankungen und Schmerzen einschließlich der Versorgung mit Medikamenten und Verbandsmitteln sowie die empfohlenen Schutzimpfungen. Außerdem werden Schwangere und Wöchnerinnen gepflegt und betreut. Auf Zahnersatz besteht aber nur Anspruch, wenn bei einer Nichtbehandlung Folgeschäden drohen. Nach 15 Monaten Aufenthalt in Deutschland rutscht der Asylbewerber automatisch in eine höhere Kategorie und ist dann gesetzlich krankenversicherten Personen gleichgestellt.

Von der Möglichkeit, Krankenkassen zur elektronischen Gesundheitskarte für Flüchtlinge zu zwingen, habe sie keinen Gebrauch machen müssen, erläuterte Golze am Donnerstag. Die Krankenkassen machen ihr zufolge freiwillig mit und haben sich die Aufgabe untereinander geteilt.

Mit der Gesundheitskarte sei unter anderem durch das Passbild eine eindeutige Identifizierung der behandelten Person möglich. Fälle, in denen ein und dieselbe Person mit drei verschiedenen Namen in der Behandlungsstatistik auftauchte, seien somit ausgeschlossen. Der durch die Herstellung der Karten erforderliche anfängliche Mehraufwand werde durch Vereinfachung des bürokratischen Aufwands mehr als wettgemacht. Ohne die Gesundheitskarte mussten sich die Flüchtlinge vor dem Arztbesuch Behandlungsscheine von den Ausländerbehörden holen.

Kamen im vergangenen Jahr rund 25 000 Geflüchtete nach Brandenburg, so waren es im ersten Halbjahr 2017 gerade einmal etwa 1700, sagte Golze.

Nach wie vor sei die sprachliche Barriere eine hohe, gab der Chirurg Peter Noack als Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin-Brandenburg zu bedenken. Nicht selten dolmetschen beim Arzt die Flüchtlingskinder für ihre Eltern. Denn wenn sie in Brandenburg zur Schule gehen, beherrschen die Kinder Deutsch schneller und besser als Mutter und Vater. »In der Chirurgie besitzt die Übersetzung nicht einen solchen Stellenwert wie beispielsweise beim Psychologen«, sagte Noack. Auch stammen erkrankte Frauen mitunter aus Kulturkreisen, in denen die Übersetzung durch den Ehemann beim Arztbesuch keineswegs immer verlässlich sei, weil die Beschwerden aus Schamgefühl nicht genau beschrieben werden.

Insgesamt habe sich der Einsatz der Gesundheitskarte bewährt, meinte Noack. Vermutungen, wonach die Flüchtlinge nach Einführung der Karte die Arztpraxen überschwemmen würden, haben sich nicht bestätigt. Wenn in Brandenburg pro Quartal 1800 Asylbewerber den Arzt aufsuchen, so bedeute das zwar eine Steigerung, »aber sie ist weder unnormal noch unplausibel«.

Die Gesundheitskarte gestatte am Wochenende in Flüchtlingsunterkünften den Einsatz des Notdienstes der kassenärztlichen Vereinigung anstelle des Rettungsdienstes, lobte Kirsten Gurske, Beigeordnete im Landkreises Teltow-Fläming. »Wer hier einmal die Kosten vergleicht, der weiß, was vorteilhafter ist.« Mit Blick auf die Tatsache, dass rund die Hälfte der dem Land Brandenburg zugewiesenen Flüchtlinge das Bundesland wieder verlassen hat, und auf die Frage, ob diese Menschen die Gesundheitskarte mitnehmen und damit woanders Kosten verursachen könnten, die Brandenburg tragen müsste, sagte Gurske: »Man kann diese Karte einfach sperren lassen.«

Es liege ihr ein für das gesamte Land einheitliches System sehr am Herzen, betonte Golze, doch beißt sie beim Landkreis Märkisch-Oderland damit bisher auf Granit. Der stellvertretende Landrat Friedemann Hanke erklärte am Rande der Pressekonferenz, seine Kreisverwaltung bleibe bei der »Nichteinführung der Gesundheitskarte«. Das alte System funktioniere tadellos, die Kreisbehörden würden dadurch die Steuerungsmöglichkeiten nicht verlieren, und nach 15 Monaten gelte ohnehin gesetzlich der Übergang in einen neuen Status.