nd-aktuell.de / 17.06.2017 / Politik / Seite 4

Das französische Parlament

Rolle und Befugnisse der französischen Nationalversammlung

Fabian Erik Schlüter, Paris

Die Nationalversammlung, die am Sonntag neu gewählt wird, ist das zentrale Gesetzgebungsorgan in Frankreich. Die 577 Abgeordneten werden nach dem Mehrheitswahlrecht für fünf Jahre bestimmt. Sie beschließen im Palais Bourbon am Ufer der Seine neue Gesetze. Die Gesetzesinitiative liegt bei der Regierung, der Nationalversammlung und dem Senat, der zweiten Parlamentskammer. Das Abgeordnetenhaus hat allerdings deutlich mehr Einfluss als das Oberhaus: Bei Gesetzesvorlagen haben die Abgeordneten das letzte Wort und können das Votum der Senatoren überstimmen.

Gleichwohl hat die Nationalversammlung eine schwächere Stellung als beispielsweise der deutsche Bundestag. Die französische Verfassung von 1958 stattet den Präsidenten mit umfassenden Vollmachten aus. Der Staatschef als eigentliches Haupt der Exekutive ist dem Parlament keine Rechenschaft schuldig und kann nur bei schweren Verfehlungen mit Zweidrittelmehrheit abgesetzt werden. Er kann die Nationalversammlung auflösen.

Hintergrund des auf den Präsidenten zugeschnittenen Staatsgefüges sind die Krisenzeiten nach dem Zweiten Weltkrieg, in denen Frankreich jahrelang keine stabile Regierungsmehrheit kannte. Republikgründer Charles de Gaulle übertrug deswegen das Recht, den Premierminister zu bestimmen, von den Volksvertretern auf den Präsidenten.

Der Premier braucht gleichwohl den Rückhalt der Nationalversammlung, also eine parlamentarische Mehrheit. Die Regierung muss zurücktreten, wenn die Mehrheit der Abgeordneten einem Misstrauensantrag zustimmt. In der Vergangenheit kam es wiederholt vor, dass der Präsident in der Nationalversammlung keine Mehrheit hatte. Der Premierminister kam dann aus einem anderen politischen Lager. Eine solche »Kohabitation«, eine Art »Zwangsehe«, gab es zuletzt von 1997 bis 2002.

Seit 2002 finden Wahlen zum Präsidentenamt und zur Nationalversammlung kurz hintereinander statt. Seitdem bekam jeder neue Staatschef auch eine Mehrheit in der Nationalversammlung. Bei wackeligen Mehrheiten hat die Regierung ein starkes Druckmittel: Sie kann eine Gesetzesvorlage mit der Vertrauensfrage verbinden. Über diesen parlamentarischen Sonderweg brachte Emmanuel Macrons Vorgänger François Hollande zwei umstrittene Reformprojekte durch die Nationalversammlung. AFP