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Es geht um die erste Runde

Die Welt als Ring: John G. Avildsen, Regisseur des weltweit erfolgreichen Films »Rocky«, ist tot

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 2 Min.

Das strenge Regelwerk - etwa beim Boxen - ist nichts weiter als eine Vortäuschung von Kultur. Und der Treffer, der den Gegner niederstreckt, ist eine Wildform ekstatischer Genugtuung. Der Jubel des Publikums schließlich - er wirkt wie das Spontangebet einer aufbewahrten Frühzeit. Einer Zeit, da die Jäger als erste Protagonisten aus der Horde traten. Wirf den Speer, lös den Schuss aus, zück deine Faust! Die Geschichte des menschlichen Könnens folgt in ihrem Erfolgskern immer auch einer sadistischen Achse, auf der das Subjekt vor allem über Vernichtungsarbeit zu sich kommt.

Im Sport kam diese völkertreibende Triebabfuhr zu einer Ruhe, wie sie nur unter domestizierten Wesen möglich ist. Am sinnfälligsten glüht unsere Lust auf Grenzlandgefühle im Boxen auf: diesem Beben zwischen Tier und Techniker, zwischen nackter Gewalt und Zivilverhalten. Im Ring blitzschnell zuschlagen zu müssen, das erinnert durchaus an den Höchstgeschwindigkeitswunsch bei weltrettenden Aktionen: Der Evangelist Markus schreibt: »euthys«, auf der Stelle, sofort, stracks - von jedem Punkt Galiläas aus in Luftlinie zum himmlischen Ziel. Das Schicksal zählt nur bis zehn. Zum K.o. geht’s hurtiger, als Missionare denken.

John G. Avildsen drehte 1976 das Boxerdrama »Rocky«. Ein Welterfolg. Unwichtig die Serien-Sucht, an der sich auch dieser Stoff infizierte. Es geht um die erste Runde. Es schien, der Sportfilm trete in eine neue Ära. Ende des 19. Jahrhunderts hatte der US-Amerikaner Eadweard Muybridge zeitraffer-fotografisch die Bewegungsformen von Rennpferden untersucht, und so bleibt der Anfang des Films immer auch mit dem Sportfilm verbunden. Charlie Chaplin, Buster Keaton, Alfred Hitchcock, King Vidor, Richard Wise, Mark Robson, Martin Scorsese, Karyn Kusama - Kinematographen der Box-Dramatik. Die Welt hängt in den Seilen. Der schmutzige Lorbeer. Die fressenpolierte Männlichkeit. Der dunkle Horizont: blutunterlaufene Augen.

Avildsen bestellte seinem Spieler (und Drehbuchautor!) Sylvester Stallone gleichsam das Feld für »Rambo« (Teil eins: ein Meisterwerk!). Natürlich ein Festfraß für Kulturkritiker: diese Pathos-Patina überm Grundgesetz aus Treue, Disziplin, Willenskraft. Aber auf unverwechselbare Weise hat Avildsen mit Stallones Boxer Rocky Balboa, dem Besitzer zweier Schildkröten, einen Außenseiter geschaffen, dessen Einfalt auf starke Weise mit einem Feldherreninstinkt korrespondiert - ein paar Muskeln halten alle Verlorenheit und den Siegesinstinkt zusammen. »Was proletkultaffine Klassensolidaritätssentimentaliker wie marktliberale Individualkarrieregläubige gleichermaßen ansprach« (Dietmar Dath).

Zu den filmgeschichtlichen Meriten des Regisseurs gehören Rockys Trainingssequenzen: der Lauf durch Philadelphia, das Fausthämmern gegen Rinderhälften, die Fanfaren »Gonny Fly Now« von Bill Contis - die Szenen wurden Ikonen des Motivationstrainings. Nun ist US-Regisseur John Avildsen (»Karate Kid«, »Inferno«) im Alter von 81 Jahren gestorben.

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