nd-aktuell.de / 22.06.2017 / Kultur / Seite 15

Mit / ohne Scheuklappen

Gerhard Scheumann

Till Sailer

Der Literaturwissenschaftler Frank Hörnigk (1944 - 2016) verfasste in seinen letzten Lebensjahren eine Biografie über den Dokumentarfilmer Gerhard Scheumann (1930 - 1998), die jetzt erschienen ist. Den Titel »... es ist die Zeit, wo die Erinnerung an die Stelle der Hoffnung tritt« hatte Scheumann selbst für seine Memoiren vorgesehen. Er sollte offenbar sein Lebensgefühl nach 1989 ausdrücken. Hörnigk schreibt, der Porträtierte sei »ein ungemein anregender, geistvoller Partner für alle« gewesen, »die seine Nähe erfahren haben«. Durch von Joachim Stoff zusammengetragenes dokumentarisches Material sowie etwa 600 Seiten Tagebuchnotizen war es ihm möglich geworden, die Biografie Scheumanns »zu einer Studie über die Geschichte der Medien- und Kulturpolitik der DDR« zu erweitern.

Das »geteilte Leben« im Untertitel meint die außerordentlich erfolgreiche Periode Scheumanns im Dokfilm-Studio H&S gemeinsam mit Walter Heynowski einerseits und andererseits die Zeit nach der Wende, als er, so der unverblümte Titel einer filmischen Abrechnung, »abgeschossen« werden sollte. Geteilt war Scheumanns Leben aber auch in Bezug auf die engste Familie, von der einige Mitglieder in den Westen gegangen waren, und auf seine Erziehung im Sinne der Nazis von 1941 bis 1945. Persönlichkeiten wie der Dokumentarfilmer Karl Gass führten ihn dann auf den Weg des »wahren Sozialismus«. Es folgte eine rasche journalistische Karriere, zunächst im Rundfunk, dann im Fernsehen. Den eigentlichen Zenit seiner Karriere erreichte Scheumann im Dokumentarfilm zusammen mit Heynowski durch spektakuläre, noch heute umstrittene Produktionen wie »Der lachende Mann« über Kongo-Müller und die Vietnam-Porträts »Piloten im Pyjama«.

Man begegnet im Buch einem Menschen, der mit sich und der DDR-Realität hart ins Gericht ging, der messerscharf erkannte, was in seinen Filmen meist ausgeblendet wurde. Umfangreiche Interviews mit Verwandten und Weggefährten vervollständigten das Bild. Matti Geschonneck, Scheumanns Stiefsohn, äußert sich sehr warmherzig. Über den IM-Vorwurf gegen seinen Ziehvater schreibt er: Andere schildern Scheumann in keiner Weise als »Mann mit Scheuklappen«. Dass er das in seiner Arbeit dennoch weitgehend geblieben ist, lässt sich nicht wegdiskutieren. In seiner Fragment gebliebenen Autobiografie wollte er diesem Zwiespalt nachspüren.

Hörnigk liefert eine Fülle von Denkansätzen über die Geschichte der DDR. Allerdings liegt für die Restauflage des Buches ein von Seiten Heynowskis veranlasster vorläufiger Auslieferungsstopp vor. Er befürchtet, durch die nachgewiesenen Arbeitskontakte des Duos mit dem MfS persönlich in Misskredit zu geraten.

Frank Hörnigk: »... es ist die Zeit, wo die Erinnerung an die Stelle der Hoffnung tritt.« Das geteilte Leben des Gerhard Scheumann. Verlag für Berlin-Brandenburg, 264 S., geb., 20 €.