nd-aktuell.de / 22.06.2017 / Kultur / Seite 17

Die Kunst und das Nichts

Nicht nur »Die Goldgruber-Chroniken« beweisen, dass der Comic-Zeichner Nicolas Mahler ein genialer Humorist ist

Waldemar Kesler

Bei Nicolas Mahler hört für manche der Spaß auf. Während Mahler in der internationalen Indie-Szene eine fanatische Anhängerschaft hat, empören sich Fans von Mainstream-Comics über sein in ihren Augen schlampiges Handwerk. Er verzichtet konsequent auf Details. Seine Figuren haben keine Hände, ihre Beine sind Stümpfe und anstelle von Gesichtern prangen mächtige Nasenkolben aus den Hälsen. Für Mimik ist da kein Platz. Die Bilder sind generell auf unverzichtbare Elemente reduziert. Dieser Minimalismus will keine Kunst sein. Mahler betrachtet sich eher als Stimme der Vernunft zwischen überkandidelter Kunstszene und spätpubertärem Superhelden-Mainstream. Dieses Selbstverständnis trägt er im nun erschienenen Sammelband »Die Goldgruber-Chroniken« zur Schau. Die Chroniken enthalten drei Bände: »Kunsttheorie versus Frau Goldgruber«, »Die Zumutungen der Moderne« sowie »Pornografie und Selbstmord«.

In den anekdotischen Kurzgeschichten irrlichtert der Comic-Zeichner Mahler durch den Kulturbetrieb und grantelt gegen dessen absurde Auswüchse. Die Vertreter der Hochkultur nehmen ihn nicht ernst, weil er Comic-Zeichner ist, der Publikumsgeschmack bringt ihn zur Verzweiflung. Mahler muss die titelgebende Frau Goldgruber davon überzeugen, dass er Künstler ist, um weniger Steuern zahlen zu müssen. Die Finanzbeamtin lässt ihn schließlich wegen mangelnder Erfolgsaussichten als Kunstschaffenden durchgehen. Kunst ist eben eine Sache der Perspektive. Mahler zeichnet aber auch liebevolle Miniporträts von absonderlichen Künstlerexistenzen, die sich in ihren Nischen eingerichtet haben.

In den »Goldgruber-Chroniken« lebt Mahler seine Hassliebe zum eigenen Beruf aus. Der Autodidakt musste in seinen ersten Jahren ohne öffentliche Förderung auskommen. In Wien gab es für Comic-Zeichner und Illustratoren keine Studienmöglichkeit. Seine ersten Comics brachte Mahler im Eigenverlag heraus. Die Attitüde des Außenseiters hat er so verinnerlicht, dass er sie auch als erfolgreicher Zeichner noch zelebriert.

Inzwischen arbeitet Mahler nämlich doch im Dienste der Hochkultur. Der Suhrkamp-Verlag machte ihn zum grafischen Interpreten von Autoren wie Thomas Bernhard oder Robert Musil. Im Gegensatz zu den meisten Comic-Literaturadaptionen spielen Mahlers Versionen mit den Vorbildern, statt die Romane mit Bildern zusammenzufassen. Der Kurzschluss zwischen Bildungskanon und Comic-Bildern funktioniert in »Partyspaß mit Kant« am besten. Die »Philosofunnies« verpflanzen Denker und ihre Zitate in kuriose Situationen: Marx kassiert im Supermarkt, Nietzsche leitet ein Pfadfinderlager, Kant versucht sich bei einer Party in Smalltalk. Auch ohne Wissen über das Image und Werk der Philosophen ist es ein großer Spaß, die gedankenschweren Sätze an der banalen Szenerie abprallen zu sehen.

Für die Superheldenparodie »Engelmann« (Carlsen) wurde Mahler 2010 beim Comicsalon Erlangen zum besten deutschsprachigen Comic-Künstler gewählt. Engelmann verballhornt das durchexerzierte Franchising der Comic-Konzerne. Der Titelheld mag sein Charakter-Design nicht, weil seine Gefühlsbetontheit sein einziges Feature ist. Das kommt bei den Action und Gewalt gewohnten Lesern nicht gut an. Daraufhin schreibt das Story-Department Engelmanns Charakter dauernd um, sodass der empfindsame Held eine schwere Persönlichkeitsstörung entwickelt. Figuren im Mahlerschen Universum müssen sich damit abfinden, dass sich nichts zu ihren Gunsten entwickelt.

Mahler hat zwei hervorstechende Merkmale: eine ausgeprägte Anti-Haltung und eine Vorliebe für formale Spielereien. Er entlockt Ausgangssituationen, die aus einem Nichts bestehen, ein Maximum an humoristischem Geschehen. Sein Flaschko sitzt in seiner Heizdecke vor dem Fernseher. Ab und an wird er von seiner Mutter besucht, die dem »Dämon Damenlikör« verfällt, wenn der Sohn ihr wieder zu zugeknöpft ist. Aus dieser Konstellation kitzelt Mahler 392 aberwitzige Strips. 2008 wurde »Flaschko - der Mann in der Heizdecke« (Edition Moderne) als bester Comic-Strip mit dem Max-und-Moritz-Preis ausgezeichnet. Der Humor darin hat etwas Versöhnliches, da wir selbst in Flaschkos Lebensverzicht noch eine gewisse Dynamik erkennen können.

In »Kratochvil« (Edition Moderne) geht es trübsinniger zu. Der Angestellte Kratochvil findet sich eines Tages unvermittelt in einer unwirtlichen, leeren Welt wieder. Es ereignet sich nichts anderes, als dass Kratochvil versucht, sich mit der neuen elementaren Existenz abzufinden, obwohl er die gewohnte Monotonie in seiner Fabrik vermisst. Kratochvil ist wahrscheinlich für Mahlers Ruf verantwortlich, einen sperrigen Humor zu haben. Bei dieser seltsamen Melange aus bewusster Pseudopoesie und verweigerten Pointen offenbart sich ein trüber Blick aufs Dasein.

Mahlers karger Stil geht mit dem Thema menschlichen Scheiterns Hand in Hand. Aber so missmutig die Anlagen seiner Bücher sind, so lustig und befreiend sind seine Ausflüchte daraus. Wer einmal auf den Geschmack dieser absurden Elementarlehre gekommen ist, der kommt nicht mehr davon los.

Nicolas Mahler: Die Goldgruber-Chroniken. Reprodukt, 336 S., 29 €