nd-aktuell.de / 22.06.2017 / Kommentare / Seite 4

Ein Inlandsgeheimdienst im Ausland

Andrej Hunko über die Tätigkeit des Verfassungsschutzes in Europa und die Sturköpfigkeit der Bundesregierung

Andrej Hunko

Eigentlich sollten die Sphären des Bundesnachrichtendienstes (BND) und des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) ordentlich getrennt sein. Der BND spioniert Regierungen und mutmaßliche Bedrohungen im Ausland aus, das BfV soll sich um terroristische und extremistische Angelegenheiten oder die Abwehr von Spionage im Inland kümmern. Allerdings erhält das BfV von anderen Diensten Erkenntnisse aus dem Ausland und überschreitet damit seine eigentliche Bestimmung. Seit Sommer vergangenen Jahres arbeitet der deutsche Inlandsgeheimdienst mit 29 europäischen Partnern in Den Haag in einem neuen Geheimdienstzentrum zusammen. Die Kooperation wird als »operative Plattform« bezeichnet, die aus einem Echtzeit-Informationssystem und einer gemeinsamen Datei für mutmaßliche islamistische Gefährder besteht.

Viel mehr ist über diese »Plattform« nicht bekannt. Rund ein Dutzend Mal habe ich mich nach Einzelheiten der Kooperation in Den Haag erkundigt. Weder nennt das Bundesinnenministerium die teilnehmenden Dienste, noch erfahre ich Einzelheiten zu Arbeitsgruppen, Personal und Kosten des neuen Zentrums. Auch der konkrete Ort, die Beschaffenheit der Datenbank, dort geführte Datenfelder oder eingesetzte Such- und Analysewerkzeuge bleiben geheim. Selbst das Parlamentarische Kontrollgremium wurde darüber nicht informiert. Das ist möglicherweise grundgesetzwidrig, denn wir müssen wissen, welche der beteiligten Dienste Polizeivollmachten haben. Mit diesen Behörden dürfte der Verfassungsschutz wegen des deutschen Trennungsgebotes keine Daten tauschen.

Die »operative Plattform« gehört zu der im Jahr 2001 gegründeten »Counter Terrorism Group« des »Berner Clubs«. Der Name ist Programm: Bei dem »Club« handelt es sich um einen informellen Zusammenschluss einer geheimen Zahl von Inlandsgeheimdiensten der EU-Mitgliedstaaten sowie Norwegens und der Schweiz. Auch hierzu sind alle weiteren Angaben äußerst geheim, sämtliche parlamentarische Anfragen der letzten Jahre liefen ins Leere. In keinem Fall hat das Bundesinnenministerium die erfragten Informationen mitgeteilt oder wenigstens als Verschlusssache in der Geheimschutzstelle hinterlegt.

Die Auslandstätigkeit des deutschen Inlandsgeheimdienstes ist also parlamentarisch nicht kontrollierbar. Es war ein Fehler, dem BfV die Kooperation mit ausländischen Partnern zu erlauben. Die Koalition hatte diese neue Vorschrift des Bundesverfassungsschutzgesetzes im Sommer vergangenen Jahres im Schweinsgalopp durchgepeitscht, damit die Zusammenarbeit noch wie geplant am 1. Juli 2016 beginnen konnte.

Die Bundesregierung verschweigt uns die erbetenen Angaben aus Rücksicht auf die »Third-Party-Rule«, wonach die beteiligten Dienste Verschwiegenheit verabredet hätten. Jedoch hätte sich das Bundesinnenministerium zuerst bei der »Counter Terrorism Group« für die Freigabe der von uns angefragten Informationen einsetzen müssen. Diese Einschätzung wird in einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes ausdrücklich bestätigt. Dem Gutachten zufolge ist die »Third Party Rule« kein absolutes Verbot der Weitergabe von Informationen, sondern ist als Verbot mit Erlaubnisvorbehalt einzuordnen. Demnach kommt der Bundesregierung im Falle eines Konfliktes mit entsprechenden Auskunftsbegehren die Pflicht zu, sich in einer Freigabeanfrage um ein Einverständnis mit dem Staat zu bemühen, der die Informationen in das System eingestellt hat. Erst wenn diese Bemühungen scheitern, kann die Herausgabe der Informationen verweigert werden. Das Fazit des Wissenschaftlichen Dienstes lautet: »Ein pauschales Auskunftsverweigerungsrecht unter Verweis auf die ›Third Party Rule‹ über sämtliche Aktivitäten in der Counter Terrorism Group (…) steht der Bundesregierung unter Zugrundelegung der dargestellten verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht zu.«

Ich habe mich deshalb beim Bundesinnenministerium erkundigt, bei welchen meiner zahlreichen Anfragen eine solche Freigabeabfrage überhaupt erfolgte. Laut Parlamentarischem Staatssekretär Günter Krings (CDU) ist dies in keinem Fall passiert. Das ist ein Affront gegenüber dem Bundestag und zeigt ein eklatantes parlamentarisches Kontrolldefizit. Die Bundesregierung muss den Verfassungsschutz deshalb unverzüglich aus Den Haag zurückbeordern. Die Ihr-könnt-mich-mal-Mentalität des Ministeriums gegenüber dem Parlament unterstreicht, dass die Geheimdienste schnellstens aufgelöst werden müssen.