Ready for takeoff?

Frankreich: Neue Abgeordnete von »En marche« bekommen einen Crashkurs in Politik

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Jeder neue französische Parlamentarier bekommt einen Pappkarton - das »Köfferchen« (Mallette) - mit dem Reglement des Parlaments, mit der blau-weiß-roten Schärpe der Abgeordneten und der metallenen Kokarde, die hinter der Windschutzscheibe des Autos anzubringen ist und die mitunter für Nachsicht der Polizei sorgen kann - aber nicht muss.

Außerdem bekommt jeder Neuling einen Mitarbeiter des Hauses an die Seite, der ihn im Sturmschritt durch das Gebäude führt und ihm neben Sitzungssaal und Bibliothek die Säle für Kommissionstagungen oder Beratungen der Fraktionen zeigt. Nachdem beim Hausfotografen ein Bild fürs Abgeordnetenverzeichnis gemacht ist, wird es bei der Hausverwaltung spannend, wo jedem sein persönliches Büro zugeteilt wird. Diese Büros sind sehr unterschiedlich ausgestattet, vom schlichten Arbeitsraum über einen mit Klappcouch, was Kosten fürs Hotel spart, bis zu eigenem Bad, während die anderen nur über ein Waschbecken im Wandschrank verfügen. Die Neuen bekommen meist die schlichtesten Büros.

Präsident Emmanuel Macrons Absicht, mit seiner Bewegung La République en Marche Bürger aus verschiedensten Schichten und Berufen in die Politik zu bringen und diese so zu erneuern, wurde mit der Wahl Realität. Von den 308 Abgeordneten der Bewegung hatten 53,4 Prozent noch nie ein Wahlmandat. Um diese Nachwuchspolitiker, die viel Enthusiasmus, aber wenig Fachkenntnis mitbringen, auf ihre neuen Aufgaben vorzubereiten, veranstaltet die Bewegung En Marche am Wochenende in Paris einen zweitägigen Crashkurs. Das soll nicht den obligatorischen Kurzlehrgang ersetzen, den die Nationalversammlung im Juli für alle neuen Abgeordneten veranstaltet. Dort werden sie mit Regeln und Prozeduren der parlamentarischen Arbeit vertraut gemacht, mit Verfahren der Diskussion von Gesetzentwürfen in Kommissionen und im Plenum, wie Änderungsanträge eingebracht und begründet werden müssen.

Im Unterschied zu diesem offiziellen Einführungskurs geht es bei dem bevorstehenden Arbeitswochenende der Bewegung En marche vor allem um das gegenseitige Kennenlernen, die Wahl des Fraktionsvorsitzenden und die Art des Kontaktes zwischen Regierung und Fraktion. In einer Rede wird Premierminister Edouard Philippe darlegen, wie er sich die Umsetzung des globalen Ziels der Bewegung, Politik ganz neu und anders zu machen, vorstellt und nach welchem »Fahrplan« Macron und seine Regierung in den nächsten Monaten ein Reformvorhaben nach dem anderen auf den Weg bringen wollen und welche Rolle dabei ihrer Parlamentsmehrheit zukommt.

Großen Raum sollen bei den Beratungen aber auch die Anforderungen an jeden persönlich einnehmen. Das geht vom Auftreten im Parlament und dem Verhalten den Abgeordneten anderer Parteien und die Fraktionsdisziplin bis zu Regeln für den Umgang mit Medien. Präsident Macron will vermeiden, dass - wie nur zu oft in der Vergangenheit zu beobachten war - Interna in die Medien gelangen, weil eitle Abgeordnete, Regierungsmitglieder oder hohe Beamte sich und ihr Handeln darstellen oder andere Personen herabsetzen wollten.

Die Eröffnungssitzung der neu gewählten Nationalversammlung findet am Dienstagnachmittag nächster Woche statt. Bis zum Abend müssen sich die Fraktionen konstituieren und ihre Zusammensetzung mitteilen sowie ihre Kandidaten für die zu vergebenden Parlamentsposten. Am Mittwoch werden der Präsident der Nationalversammlung und seine Stellvertreter sowie die Vorsitzenden der verschiedenen Kommissionen gewählt. Am 4. Juli wird Premier Philippe seine Regierungserklärung abgeben, der eine Debatte folgt. Zum Abschluss wird über das Vertrauen zur Regierung abgestimmt, die sich zwar ihrer Mehrheit sicher sein kann, aber bei der Gelegenheit feststellen kann, welche Abgeordneten anderer Parteien zu ihrer Politik stehen.

Unterdessen hat Präsident Macron hat dem Abschied mehrerer affärenbelasteter Minister das Kabinett neu aufgestellt. Er machte die Juristin Nicole Belloubet zur Nachfolgerin von Justizminister François Bayrou. Das Verteidigungsministerium übernimmt die bisherige Bahnmanagerin und frühere Staatssekretärin Florence Parly. Neue Europaministerin wird die Leiterin der Elitehochschule ENA, Nathalie Loiseau.

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