nd-aktuell.de / 23.06.2017 / Kultur / Seite 13

Maloya!

Carl Craig & La Réunion

Thomas Blum

Über das Musikstück »At les« des US-amerikanischen Techno-DJs und -Produzenten Carl Craig, das sich auf dessen Album mit dem rundum guten Titel »More Songs About Food And Revolutionary Art« (1997) findet, schreibt ein Hörer im Internet treffend: »It’s so addictive, it should be illegal.« Craigs unterkühlter, hypnotisch-repetitiver und dem Maschinenklang in den Fabriken abgelauschter Detroit-Techno, der sich, zumindest in seinen Anfängen, auch als künstlerische Reaktion auf eine sozial immer mehr zerfallende und im ökonomischen Niedergang begriffene US-Gesellschaft verstand - also nicht das Geringste zu tun hat mit dem stumpfsinnigen Balearen-Bummbumm, das hierzulande viele von Faschingsumzügen wie der verblichenen Loveparade kennen -, hat an den Stellen Soul, an denen die Techno-Vorläufer Kraftwerk nur Steckdosen und straff gebügelte Oberhemden hatten. So weit, so schön. Seit einigen Jahren herrscht die sonderbare Mode, einst als avantgardistisch wahrgenommene Clubsounds wie den von Carl Craig in ein bürgerliches Ambiente zu überführen, sie aus den Kellern, in die sie vor 20, 25 Jahren noch verbannt waren, sozusagen ins ehrwürdige Konzerthaus zu holen beziehungsweise in die »heiligen Hallen der Hochkultur« (Plattenfirma). Der Luxemburger Komponist und Pianist Francesco Tristano, der selbst Technotracks neu arrangiert und auf dem Klavier spielt, ist eine Art Pionier auf diesem Feld: Hier hat er nun Craigs Technostücke so transkribiert, dass sie von einem Orchester gespielt werden können.

Aufgenommen wurde das so Zusammenfusionierte mit einem großen Symphonieorchester. Nun kann man fragen: Braucht man das? Neue pompöse Orchesterversionen von Tracks, deren Charme ursprünglich auch oder vor allem in ihrer reduzierten, minimalistischen Ästhetik zu finden war? Oder braucht der Markt das, weil er eine neue Zielgruppe ausgemacht hat, nämlich alternde DJs und Techno-Connaisseure, die nicht mehr nachts in verrauchten Clubs herumstehen, sondern lieber auf ihrer Dachterrasse minimalistische Post-Klassik und das Werk von Arvo Pärt per Kopfhörer genießen? Entscheiden Sie!

Was gibt es sonst noch? Ah, ja: Maloya! Nie gehört? Maloya ist ein auf der im Indischen Ozean gelegenen Insel Réunion gespieltes Musikgenre, einst erfunden von den Sklaven, die dort in der Landwirtschaft vernutzt wurden, in dem lokal Folkloristisches zeitweise wirkungsvoll mit Funk, Soul und närrischem psychedelischem Gewummsel und Gesummsel verschmolzen wurde. Das Label Strut hat hier einmal mehr gezeigt, wie liebevoll man eine Compilation zusammenstellen kann und dem Hörer noch wie nebenbei die Geschichte einer bestimmten musikalischen Ära und Szene vermitteln.

Carl Craig: »Versus« (InFiné/ Planet E/Rough Trade)

Various Artists: »Oté Maloya - The Birth Of Electric Maloya On Réunion Island 1975 - 1986« (Strut/Indigo)