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Taufers Weg

Annotiert

  • Lesedauer: 2 Min.

Der Robert-Havemann-Saal im Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte war übervoll. Lutz Taufer scheint eine große Fangemeinde zu haben. Oder ist die RAF noch immer von überbordendem Interesse? Es kamen viele Freunde und Bekannte, die Taufer in seiner Haft beistanden oder mit denen er in entwicklungspolitischen Kontexten zusammenarbeitete.

Das ehemalige Mitglied des Kommandos Holger Meins stellte seine just erschienene Autobiografie vor, in der er in »Räume der Hoffnung und des Glücks, des Schmerzes und der Trauer, der Liebe und des Hasses, der Selbstaufgabe und der Selbstbehauptung« lädt. Spät, wie er eingesteht. Seine Erinnerungen aufzuschreiben, weigerte er sich lange, aus Furcht vor der »Versuchung des Opportunismus« respektive »Stilisierung«. Sensationelle Enthüllungen wollte er nicht offerieren. Offen und selbstkritisch berichtet er über das Geiseldrama in der deutschen Botschaft in Stockholm 1975, an dem er beteiligt war, offenbart jedoch keine unbekannten Details.

Wichtiger erschien es ihm, vor allem Nachgeborenen, zu erklären, wie er in die militante Szene geriet, die in den 1970er Jahren die Bundesrepublik erschütterte, entsetzte, enttäuschte. In seiner Kindheit schien nichts auf die spätere Radikalität hinzuweisen. Die Eltern waren keine Nazis, aber auch keine Widerstandskämpfer. Taufer wuchs in einer ambivalenten Welt heran, mit Lehrern, die von Fronterlebnissen schwärmten, während Widerstandskämpfer weiterhin als »Vaterlandsverräter« galten. Seine Politisierung begann während des Medizinstudiums und im Sozialistischen Patientenkollektiv. Der 68er Aufbruch erreichte die badische Provinz erst, als er anderorts bereits abflaute.

Wendepunkt in seinem Leben war der 3. Juni 1967, als er auf an einem am Alleebaum gepinnten Zettel las: »Student in Berlin von Polizei erschossen.« Der Mord an Benno Ohnesorg während des Schah-Besuchs empörte ihn. Und Taufer ist heute überzeugt, wenn der Westen 1953 nicht Premier Mossadegh gestürzt hätte, sich damals wie heute herausgehalten hätte, wäre die Entwicklung im Nahen Osten ganz anders verlaufen, Iran eine Demokratie und die Region nicht Schauplatz blutiger Kriege.

Nach 20 Jahre Haft mit mehreren Hungerstreiks gegen die unmenschliche Isolationsfolter (über die der studierte Psychologe fachkundig berichtet) kam Taufer über einen Besuch bei befreundeten Tupamaros in Uruguay nach Brasilien, wo er in den Favelas von Rio de Janeiro für den Weltfriedensdienst arbeite, dessen Vorstandsmitglied er ist. Vor fünf Jahren kehrte er nach Deutschland zurück. Seinen politischen Überzeugungen blieb er treu. Widerstand heute gegen das inhumane kapitalistische System bedeutet für ihn Arbeit an der Basis, nicht bewaffnete Militanz. Karlen Vesper

Lutz Taufer: Über Grenzen. Vom Untergrund in die Favela. Assoziation A. 288 S., br., 19,80 €.

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