nd-aktuell.de / 24.06.2017 / Kommentare / Seite 17

Eine skurrile Veranstaltung

Sieben Tage, sieben Nächte: Regina Stötzel über die Verleihung des Theodor-Wolff-Sonderpreises an Deniz Yücel

Regina Stötzel

Wegen der hohen Temperaturen dürfen die Herren ganz offiziell ihre Jacketts ablegen. Die Nominierten entstammen mehrheitlich dem kleinen Kreis der üblichen Nichtverdächtigen: Süddeutsche, Berliner Zeitung, FAZ, Welt, Zeit, Tagesspiegel. Der Moderator ist so krampfhaft locker, wie man es aus TV- Unterhaltungssendungen kennt, und schreckt nicht davor zurück, die Vizepräsidentin des Bundestages, die im Publikum sitzt, nach ihren Erfahrungen beim »ersten Mal« zu befragen.

Theodor Wolff, den Namensgeber der Preise, die zu vergeben sind, brachten die Nazis ins Grab. Doch im preisgekrönten Beitrag der Sparte »Meinung« wird vor einer »bloßen moralischen Verurteilung« von Rassismus und anderen »dumpfen Haltungen« gewarnt, weil dies die Gegenkräfte stärke.

Und dann ist da noch ein Preisträger, den »gewisse, derzeit unverrückbare Umstände«, wie er ausrichten lässt, davon abhalten, seine Trophäe selbst in Empfang zu nehmen. Freundinnen und Freunde von Deniz Yücel, dem am Mittwoch in Abwesenheit der erste Theodor-Wolff-Sonderpreis vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger verliehen wurde, sind sich einig, dass dessen kleiner Dankestext, der eine lange und streckenweise analoge Reise aus der Strafvollzugsanstalt Silivri bei Istanbul hinter sich hat, der beste von allen vorgelesenen war. Sie sind natürlich parteiisch und ein bisschen ungerecht den Kolleginnen und Kollegen gegenüber, aus deren handwerklich einwandfreien Reportagen an dem Abend nur Ausschnitte zu hören sind.

Doch zweifellos ist Yücel derjenige, der das Skurrile der Veranstaltung am besten zum Ausdruck bringt. »Sehr geehrte Mitglieder von Jury und Kuratorium für den Theodor-Wolff-Preis, mit einem Wort: Wow! Oder förmlicher, aber nicht weniger euphorisch: Es ist mir eine große Ehre; haben Sie herzlichen Dank für diese Auszeichnung. Für meine Texte habe ich den Theodor-Wolff-Preis nie erhalten, jetzt bekomme ich ihn, indem ich hier bloß dumm rumsitze. Hätte ich das mal früher gewusst ...«

Er erlaube sich, schreibt Yücel, »diesen Preis auch als Zeichen der Anteilnahme mit meinen zahlreichen türkischen Kolleginnen und Kollegen zu interpretieren«. Er bedankt sich bei all jenen, »die derart viel Staub aufwirbeln, dass, da bin ich zuversichtlich, die Machthaber in der Türkei in Bälde meine Freilassung veranlassen werden, weil sie diese ständigen Free-Deniz-Rufe nicht mehr hören können«.

Humor, Beharrlichkeit, Leidenschaft - zum ersten und einzigen Mal an diesem Abend kommt zum Ausdruck, dass dies alles etwas mit Journalismus zu tun hat. Und das, obwohl der Journalist nicht anwesend und sein Text kein journalistischer ist.