nd-aktuell.de / 26.06.2017 / Kommentare / Seite 6

EU bewahren, um sie zu verbessern

Nur die EU kann Probleme wie Menschenrechtsverletzungen, Umweltzerstörung und Armut in Zeiten der Globalisierung lösen.

Karl-Burkhard Haus

Mehr oder weniger EU? Die Debatte über die Reform der EU hat durch den neuen französischen Präsidenten an Fahrt aufgenommen. Auch in der Linken wird über die Frage der Vertiefung der europäischen Integration kontrovers diskutiert.

Globalisierung ist eine Tatsache. Dass persönliche, kulturelle, politische und wirtschaftliche Verbindungen über Grenzen hinweg zunehmen, ist nicht zu übersehen. Gleichzeitig ist der Begriff »Globalisierung« aber auch ein Kampfbegriff geworden, der negativ konnotiert auf die Rolle von Großkonzernen, Datenströmen, Steuerparadiesen und Geheimdiensten hinweisen soll. Viele Menschen beunruhigt zudem, dass sie sich der Identität und Souveränität ihrer Herkunftsländer angesichts der Globalisierung nicht mehr sicher sind. Diese Bedenken sind von allen, die sich für eine stärkere europäische Zusammenarbeit einsetzen, zu berücksichtigen.

Während Internationalismus früher die logische Entwicklung für den Fortschritt der Menschheit gerade für marxistische Denkerinnen und Denker zu sein schien, haben mittlerweile nicht nur Linke starke Vorbehalte gegenüber der heutigen globalen Verflechtung der Welt. »Die Internationale erkämpft das Menschenrecht«? Die Europäische Union setzt sich tatsächlich für Menschenrechte ein, könnte aber noch viel mehr für ihre Wahrung tun.

Wenn die Globalisierung eine Tatsache ist, wenn doch viele der großen Probleme auf der Welt – Menschenrechtsverletzungen, Umweltzerstörung und Armut beispielsweise – nur durch internationale Zusammenarbeit und Solidarität zu lösen sind, dann ist die EU in jedem Fall eine gute Idee. Wie sollen sich denn kleinere Länder wie Belgien, Österreich oder Malta behaupten, wie sollen sie sich einbringen mit ihren Ideen, wie Unterstützung erfahren als Nationalstaaten?

Der Brexit, den Großbritannien als zweitstärkste Volkswirtschaft der EU nun vollziehen will, wird ein interessantes Experiment mit höchst ungewissem Ausgang. Wer glaubt denn wirklich, dass Isolation und Alleingänge die Lösung der angesprochenen Probleme bringen könnten? Ich jedenfalls nicht. Ich glaube vielmehr an die positive Kraft, die von Teamwork ausgeht. Ich glaube, dass Vernunft und Enthusiasmus die EU weiter und auch weiter zusammen führen werden. Wir gehen als Pulse of Europe auf die Straße, um diese Begeisterung zu zeigen. Das mögen manche PolitikwissenschaftlerInnen oder RealpolitikerInnen naiv finden, doch die vielen tausend Menschen, die dabei mitmachen, spüren diese Begeisterung offenbar auch. Es hat oft an Herzblut gefehlt, wenn über die EU gesprochen worden ist. Was uns diese Institution gebracht hat, ist vor dem Hintergrund einer europäischen Geschichte von Einzelstaaten, die sich gegenseitig von der Landkarte ausradieren wollten, unglaublich.

Also warum jetzt den Rückwärtsgang einlegen? Junge Menschen, die mit den Möglichkeiten aufgewachsen sind, die ihnen die EU bietet, verstehen die EU-Skepsis nicht. Und sie fordern auf unseren Veranstaltungen zum Beispiel Pressefreiheit in Polen, Beistand für Italien und Griechenland in der Migrationskrise oder Wissenschaft ohne staatliche Einschränkung in Ungarn. Der Pulse of Europe will die EU bewahren – um sie zu verbessern.

Politik lebt von Verhandlungslösungen, und kein Kompromiss ist perfekt. Aber die EU abzuwickeln wäre ein fataler Fehler, denn die Staaten, die sich heute in Brüssel streiten und oft nicht weiterkommen, verhandeln eben und bekriegen sich nicht mehr. Der Weg, den Pulse of Europe sich wünscht: aus diesem riesigen Entwicklungsschritt auf unserem Kontinent mehr zu machen für eine gemeinsame Zukunft anstatt wieder Mauern hochzuziehen.

Und natürlich denken wir dabei auch an die vielen jungen Leute in den südlichen Mitgliedsstaaten, die keine Arbeit finden. Uns ist bewusst, dass unsere in Deutschland entstandene Initiative in den EU-Staaten, deren Wirtschaft nicht so gut läuft wie unsere, mit Argwohn betrachtet wird. Wir Deutschen – nach zwei entsetzlichen Kriegen wieder in die Völkergemeinschaft aufgenommen – haben als Wirtschaftsmacht gerade die Verpflichtung, Vorschläge zur Veränderung des Wohlstandsgefälles zu erarbeiten, und genau das fordern wir von der Politik ein.

Der schnelle Erfolg der Pulse of Europe Bewegung soll die Regierungsverantwortlichen ermutigen und ihnen klar machen: Die EU muss als wichtigstes Werkzeug der Zukunftsplanung verstanden werden. Ohne gemeinsame Anstrengung sind auch die schwergewichtigen Deutschen nur unwichtig und können nichts bewegen in Europa und der Welt. Außen- und Sicherheitspolitik ist für einen Staat, der so viele Nachbarn hat wie wir, unmöglich allein zu stemmen. Die europäischen Länder brauchen einander: um die hohen Standards, die sie bereits geschaffen haben, aufrecht zu erhalten und um sie weiter zu entwickeln.

Pulse of Europe lehnt nationalistische Parolen wie »Britain first« ab und setzt stattdessen auf Offenheit, Rechtsstaatlichkeit und Solidarität. Dafür werden wir uns weiter aktiv einbringen.

Lesen Sie das Contra in der Debatte über die Reform der EU: »Weniger ist mehr«[1] von Peter Wahl.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1055246.weniger-ist-mehr.html