nd-aktuell.de / 26.06.2017 / Sport / Seite 18

Ein Schreibtisch im Säulensaal

Am Arbeitsplatz im Moskauer Haus der Gewerkschaften

Jirka Grahl

Pressezentren bei Großveranstaltungen sind ungemütliche Orte: Riesige Zelte werden neben den Stadien aufgebaut, Sanitärcontainer dazugestellt, Generatoren herangekarrt. Stetig brummend versorgen sie die Computertechnik mit Strom, ebenso die stets viel zu kühl eingestellte Klimaanlage. Die Arbeitstemperatur bei der FIFA liegt grundsätzlich bei gefühlten 16 Grad. Fußball ist, ja, ein kaltes Geschäft.

Oft lässt es sich viel besser in den städtischen Pressezentren arbeiten, wenn auch selten an so historischen Plätzen wie in der Großen Dimitrowka-Straße 1 in Moskau. Die Stadtverwaltung hat eines ihrer schönsten Gebäude für die Reporter des Confed Cups hergerichtet. Das »Dom Sojusow«, das Haus der Gewerkschaften, fungiert für zwei Wochen als ihr Arbeitsplatz - genauer gesagt der Säulensaal, das Prunkstück in diesem Klassizismusbau von 1775, der nach der Oktoberrevolution den Gewerkschaften übergeben wurde.

Der Säulensaal, zu Sowjetzeiten nur der »Große Saal« genannt, ist dabei nicht nur wegen der 28 fast zehn Meter hohen Säulen beeindruckend, sondern vor allem, wenn man weiß, was sich in diesen Hallen schon alles ereignet hat: Wo sich im Juni 2017 vielleicht 20 Journalisten an den mindestens 200 Arbeitsplätzen verlieren, hielt bereits 1880 Fjodor Dostojewski seine berühmte Puschkin-Rede über Russentum und Allmenschentum und seine glühende Gewissheit, nur ein Russe könne alle Völker der Welt durchdringen. 1924 nahmen hier Zehntausende Sowjetbürger Abschied vom aufgebahrten Lenin, und in der Folge von allen weiteren Partei- und Regierungschefs wie Stalin, Chruschtschow oder Breshnew und so weiter.

Wo sich dieser Tage die Direktorin des Staatlichen Puschkin-Museums müht, die Sportreporter und damit auch ein paar Fußballfans für die gerade in ihrem Hause laufenden Ausstellungen zu erwärmen, wurde 1938 das Lied »Katjuscha« uraufgeführt. Auch die legendäre »Leningrader Sinfonie« von Dimitri Schostakowitsch, ein Kunstwerk gegen den Faschismus, erlebte hier 1942 ihre Moskauer Erstaufführung - im Bombenhagel. Im Säulensaal aufzutreten ist für russische Künstler der Ritterschlag.

Selbst für den Sport war das Haus von Bedeutung, Juan Antonio Samaranch wurde hier 1983 auf der IOC-Session zum Präsidenten gewählt, ein Jahr später lieferten sich hier Anatoli Karpow und Garri Kasparow das erste ihrer legendären Duelle um den Schachweltmeistertitel. Was für Geschichten, wie viel Geschichte!

Dennoch ist das »Dom Sojusow« dieser Tage so schlecht besucht, dass sich die Volunteers an den Ständen beinahe erschrecken, wenn man ihnen mal eine Frage stellt. Ein paar Dutzend Reporter sind zu wenig für einen Saal, der 1200 Leute fasst. Im Stadion gilt es also fortan, den Kollegen vom städtischen Pressezentrum vorzuschwärmen: »Geht dahin, denkt an Dostojewski, Lenin und Katjuscha!« Und wenn sie fragend schauen, auch ernsthafte Argumente zu liefern: »Geht hin! Es ist einfach schön warm dort!«