nd-aktuell.de / 04.07.2017 / Politik

Mehr als 2000 Menschen im Mittelmeer gestorben

Über 100.000 Menschen im ersten Halbjahr 2017 per Boot nach Europa geflüchtet / »Ärzte ohne Grenzen«: Großteil von Nichtregierungsorganisationen gerettet

Genf. Seit Jahresbeginn haben nach UN-Angaben 101.000 Menschen über das Mittelmeer die Küsten Europas erreicht. 2250 Menschen seien auf dem gefährlichen Seeweg ums Leben gekommen, teilte die Internationale Organisation für Migration (IOM) am Dienstag in Genf mit. Rund 85 Prozent der Flüchtlinge und Migranten seien in Italien an Land gegangen. Die anderen seien in Griechenland, Zypern und Spanien registriert worden.

Die Hilfsorganisation »Ärzte ohne Grenzen« fordert angesichts der Zahlen die EU auf, für eine ausreichende staatliche Seenotrettung im Mittelmeer zu sorgen. Außerdem dürfe die libysche Küstenwache nicht weiter aufgerüstet werden, solange sie durch rücksichtsloses Verhalten Flüchtlinge in Gefahr bringe, erklärte Florian Westphal, Geschäftsführer von »Ärzte ohne Grenzen« Deutschland, am Dienstag in Berlin.

Vor dem Treffen der EU-Innenminister am Mittwoch und Donnerstag im estnischen Tallinn haben nach Angaben von »Ärzte ohne Grenzen« Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), seine Amtskollegen aus Italien und Frankreich sowie EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos in Paris eine Erklärung verabschiedet, in der sie unter anderem zusätzliche Unterstützung für die libysche Küstenwache fordern sowie einen Verhaltenskodex für Hilfsorganisationen, die in der Seenotrettung im Mittelmeer aktiv sind.

Bis zum 21. Juni haben die europäischen Marineschiffe in diesem Jahr laut »Ärzte ohne Grenzen« nur zwölf Prozent der Menschen im Mittelmeer aus Seenot gerettet. Ein Großteil der Menschen sei durch Nichtregierungsorganisationen und die italienische Küstenwache gerettet worden. »Die EU-Staaten müssen endlich Menschenleben retten, statt sich auf neue Vorschriften für NGOs zu fokussieren«, sagte Westphal.

Im ersten Halbjahr 2016 hatten der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge noch knapp 232.000 Menschen in Booten Europa erreicht. Mehr als 2960 Männer, Frauen und Kinder waren bei der Passage ums Leben gekommen oder gelten als vermisst. Den Rückgang bei den Überfahrten erklärten die UN mit der Schließung der sogenannten Balkan-Route, auf der viele Flüchtlinge von Südosteuropa in die nördlichen Länder des Kontinents wie Deutschland gelangten. Zudem zeige der Pakt der EU mit der Türkei über die Rückführung von Flüchtlingen seine Wirkung. Die Zahl der Unglücke und Toten bleibe im Vergleich zu 2016 dennoch hoch, weil viele der kaum seetauglichen Schlepper-Boote in diesem Jahr von Nordafrika über die gefährliche zentrale Mittelmeer-Route nach Italien fuhren.

Hilfsorganisation sehen ihren Einsatz im Mittelmeer zunehmend durch unbelegte Vorwürfe[1] von Staatsanwälten und politische Stellungnahmen behindert. Im Juni hatten die Hilfsorganisationen »Ärzte ohne Grenzen«, »Sea Watch« und »SOS Méditerranée« deshalb Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem offenen Brief zu einem klaren Bekenntnis zur Seenotrettung im Mittelmeer aufgefordert. Ende Juni hatte die sächsische Justiz Ermittlungen[2] wegen des Verdachts auf Schleusertätigkeit gegen die Dresdener Hilfsorganisation »Lifeline« eingeleitet, dieser aber vor wenigen Tagen eingestellt[3]. epd/nd

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1049829.seenotretter-werden-zum-spielball-italienischer-innenpolitik.html?sstr=Lifeline
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1055356.seenotretter-im-visier-der-behoerden.html?sstr=Lifeline
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1056143.ermittlungen-gegen-hilfsorganisation-eingestellt.html?sstr=Lifeline