Für jedes Buch eine neue Technik

Des Zeichners und Illustrators Werner Klemke wird in der Galerie »Helle Panke« gedacht

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 3 Min.

Der »gelernte« DDR-Bürger ist zu jeder Zeit und in jedem Lebensalter mit ihm in Berührung gekommen: Die Vorschulkinder ließen sich die Grimm’schen Märchen vorlesen, die er mit heiteren, einprägsamen Schabzeichnungen und doppelseitigen Farbtafeln ausgestattet hat. Die Erstklässler lernten dann über Jahrzehnte mit der von ihm gestalteten Schulfibel das Lesen und Schreiben. Seine Illustrationen der Kinderbücher von Fred Rodrian (»Das Wolkenschaf«, »Hirsch Heinrich«) und Benno Pludra (»Lütt Matten und die weiße Muschel«) erfreuen sich bis heute großer Beliebtheit.

Für die Zeitschrift »Das Magazin« zeichnete er in 35 Jahren 423 Titelbilder, auf denen nie der kleine schwarze Kater fehlte. An über 800 Büchern hat er als Illustrator und Gestalter mitgewirkt, mehr als 70 seiner Werke zählten zu den »Schönsten Büchern der DDR«. Eine ganze »Comédie humaine« hat er mit seinem erstaunlichen Illustrationswerk geschaffen.

Die Ausgewogenheit von Wort und Bild zeichnet seine Bücher aus. Sein Sinn für Bewegung und Figurenbeziehungen muss ebenso hervorgehoben werden wie die mimische Darstellung seiner Gestalten. Als vielseitiger Gebrauchsgrafiker hat er Briefmarken, Theaterplakate, Buchumschläge, Schallplattenhüllen, Signets und vieles andere mehr gestaltet. Von 1956 bis 1990 als Professor für Buchgrafik und Typografie an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee tätig, hat er vielen Schülern bei der Suche nach ihrer künstlerischen Eigenständigkeit geholfen.

In seinem 100. Geburtsjahr hätte der 1994 verstorbene Künstler wirklich eine repräsentative Retrospektive verdient. So aber gibt es nur kleine Ausstellungen, die Ausschnitte und Teilaspekte seines Schaffens vorstellen. Aus vier Privatsammlungen (Annet Betsalel, André Eckardt, Hans Hübner, Prof. Roland R. Berger) hat die Galerie des Vereins »Helle Panke« eine kleine Schau zusammengestellt, die mit jeweils wenigen Exemplaren aus dem zeichnerischen, grafischen und Illustrationswerk einen Überblick zu geben versucht. Von der Briefmarke, dem Programmzettel, dem Zeitschriftentitel über die Buch- und Schallplattenhülle, das Exlibris, die Bildschirmgrafik, das Theater- und Filmplakat bis zur freien Grafik, der Zeichnung, dem Aquarell und den Buchillustrationen spannt sich der Bogen der Exponate.

Das vielfältige Spektrum seiner künstlerischen Ausdrucksmittel - Holzstiche, Schabzeichnungen, Pinselzeichnungen, kolorierte Federzeichnungen oder Zeichnungen in verschiedenen Techniken - kann nur an einzelnen Beispielen gezeigt werden. Bereits in seinem »Till Eulenspiegel« 1955 hatte Klemke mit seiner Bildauffassung an die Volksbuch-Grafik des 16. Jahrhunderts angeknüpft. In seinen Holzstichen zu Boccaccios »Decamerone«, einer Sammlung von 100 Geschichten, die von sieben jungen Damen und drei jungen Männern in zehn Tagen erzählt werden, wusste er die frivole irdische Lebensfreude der Adelsgesellschaft Italiens einzufangen, den ursprünglichen derben Spott und die laszive Zweideutigkeit der Entstehungszeit (Mitte des 14. Jahrhunderts) in feine, geistreiche Ironie zu wandeln, sodass auch erotische Szenen mit leichter Hand gelangen. Mit den Illustrationen zu Diderot, Jules Verne oder Thomas Mann lernt man dann wieder einen ganz anderen Klemke kennen. Für jedes Buch verwendete er eine andere Technik.

Unter den Meisterwerken des Buchgestalters und Illustrators Werner Klemke nehmen gerade die Illustrationen zu den Grimm’schen Märchen eine Sonderstellung ein: Wie die Märchen selbst sind auch die Illustrationen Klemkes jung und alt zugänglich. Er sah in ihnen Geschichten mit einer glücklichen Mischung von Realismus und Phantasie, mit sehr viel Humor und Lebensklugheit, die man ernst nehmen soll, aber auch nicht zu ernst nehmen darf. So malte er die heiteren Seiten dieser handlungsreichen Geschichten noch ein wenig heiterer, verschmitzt und spaßig aus. Bei all dem bleibt zwischen Text und Bild noch so viel Raum, wie ihn Mitdenken und Phantasie brauchen, um zum schöpferischen Genuss der Märchen zu gelangen.

»Gezeichnet, gemalt, herumprobiert«, so hat er bescheiden seine künstlerische Arbeit bezeichnet. Sie ist, ebenso originelle wie zukunftsweisende Aspekte aufweisend, natürlich weit mehr - ein Höhepunkt in der Grafik, in der Illustrationskunst des 20. Jahrhunderts.

»Werner Klemke zum 100. Geburtstag«, bis zum 9. September in der Galerie der »Hellen Panke«, Kopenhagener Str. 9, Pankow

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