Gezähmtes Kalzium

Von Iris Rapoport , Boston und Berlin

  • Iris Rapoport
  • Lesedauer: 3 Min.

Ganze Gebirge aus Kalk sind mit ihren Fossilien steinerne Zeugen der biologischen Bedeutung des Kalziums von Urzeiten her. Auch der Mensch trägt mit einem Kilo Apatit viel schwer lösliches Kalziumsalz mit sich herum. Dessen unzählige winzige Kristalle verleihen Knochen und Zähnen Stabilität.

Doch das Metall kann weit mehr! In den Körperflüssigkeiten gelöst, erfüllen freie Kalziumionen unglaublich viele Funktionen. Das gilt bereits für das Blut. In dem wird es beileibe nicht nur transportiert. Im Notfall aktiviert es die Blutgerinnung. Auch sichert es die Stabilität von Nerven- und Muskelzellen. Verglichen mit dem Kilo Kalzium in den Kristallen, scheint ein Gramm im Blut sehr wenig. Doch gemessen an der schlechten Löslichkeit von Apatit ist dies extrem viel. So viel, dass es sofort auskristallisieren könnte. Das birgt Gefahren und ist dennoch unverzichtbar für uns. Anders wäre weder Knochen- noch Zahnbildung möglich. Auch der an Mineralien übersättigte Speichel wird aus dem Blutplasma gespeist. Eine besser remineralisierend wirkende Zahnspülung gibt es nicht!

Doch Kristalle im Blutstrom? Das wäre nicht mit dem Leben vereinbar! Die Schutzmechanismen sind vielfältig und nicht völlig geklärt. Eine Bildung löslicher Komplexe trägt dazu bei. Die größte Gefahr lauert an den Gefäßwänden. Dort bilden sich Kristalle besonders leicht. Deshalb werden hier viele kleine Schutzproteine synthetisiert. Sie alle bedürfen einer Aktivierung durch Vitamin K. Eines wird Matrix Gla Protein genannt. Es ist nach heutigem Wissen der wichtigste Schutz gegen »Arterienverkalkung« (DOI: 10.3945/ an.111.001628).

Kein anderes Ion im Blut wird so präzise reguliert wie Kalzium. Jeder Zustrom oder Mangel wird durch ein hormonell kontrolliertes Zusammenspiel von Darm, Knochen und Nieren sofort austariert. Der Darm reguliert die Aufnahme. Die Knochen dienen - je nach Bedarf - als Speicher oder als Quelle. Die Nieren regeln die Ausscheidung. So müssen wir nicht fürchten, dass Kalzium im Blut mit jedem Glas Milch in gefährliche Höhen schnellt. Schon eher wird sein Spiegel durch eine ausreichende Zufuhr von Vitamin D oder K bestimmt. Gleichzeitig ist es vergebliches Hoffen, dass eine geringere Zufuhr als das von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlene tägliche Gramm vor »Verkalkung« schützt. Jeder Mangel hingegen zehrt an den Knochen und befördert langfristig Osteoporose.

Die Sicherung einer konstant hohen Konzentration im Blut hat Priorität! Auch weil Kalzium ein wichtiger Botenstoff bei der Aktivierung von Zellen ist. Seine Konzentration im Zellinnern ist 10 000-fach geringer als im Blut. So wirkt jeder Einstrom von Kalzium blitzartig als Signal. Faszinierend, was dadurch in der Evolution möglich wurde: Muskelkontraktion wird so gesteuert. Drüsen werden zur Hormonausschüttung, etwa des Insulins, angeregt; Nerven zur Ausschüttung von Neurotransmittern. Der Stoffwechsel wird reguliert.

Kalzium kann wahrlich weit mehr als manchmal fossile Spuren zu hinterlassen.

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