Bürgermeister unter Daueranklage

Erneuter Freispruch für Halles Rathauschef wird unwahrscheinlicher

  • Hendrik Lasch, Magdeburg
  • Lesedauer: 3 Min.

Gerhard Köneke ist ein unterhaltsamer Richter. In dem von ihm am Landgericht Magdeburg geleiteten Untreueprozess gegen Bernd Wiegand, den Oberbürgermeister von Halle, sorgten seine beiläufigen Anmerkungen wiederholt für Heiterkeit. Als er ankündigte, den früheren Staatssekretär im Innenministerium Ulf Gundlach (CDU) als Zeuge laden zu wollen, fügte er hinzu: »Er hat es ja nicht weit.« Das Ministerium und das Gericht liegen faktisch nebeneinander.

Dem Angeklagten indes dürfte nur Augenblicke später nicht mehr heiter zumute gewesen sein. Am elften Prozesstag äußerte Köneke erstmals eine rechtliche Bewertung - und deutete an, dass es für den Oberbürgermeister, anders als im ersten Prozess am Landgericht Halle, nicht erneut zu einem Freispruch reichen könnte. »Vielleicht ist es ja doch ein Fall von Ämterpatronage«, sagte Köneke nachdenklich - und mahnte die Parteien dezent zu einer gütlichen Einigung: Die Staatsanwaltschaft könne sich das ja »durchaus vorstellen«, rief er in Erinnerung.

Die Anklagebehörde wirft Wiegand Untreue vor. Dieser soll bei seinem Amtsantritt als Rathauschef im Dezember 2012 drei Vertraute als Mitarbeiter eingestellt haben - für ein überhöhtes Gehalt. Alle drei seien in einer Erfahrungsstufe eingruppiert worden, die nicht ihrer beruflichen Qualifikation entsprach. Berechnet auf die siebenjährigen Amtszeit Wiegands entstehe der Stadt so ein Schaden von exakt 290 457,19 Euro. Der Vorwurf wiegt schwer. Würde der Rathauschef zu einer Strafe von mehr als einem Jahr Gefängnis verurteilt, müsste ihn der Stadtrat seines Amtes entheben.

Wiegand weist die Vorwürfe zurück. Er nannte das Verfahren im Hallenser Prozess eine »politische Intrige gegen einen parteilosen Oberbürgermeister« und betonte, zulässige »Ermessensspielräume« ausgeschöpft zu haben. Zumindest in letzterem schien ihm das Urteil Recht zu geben: Nach über 20 Verhandlungstagen wurde er im Februar 2015 freigesprochen. Der Bundesgerichtshof freilich hob das Urteil im Mai 2016 auf. Danach soll sich die Staatsanwaltschaft zu einer Einigung bereit erklärt und dabei einer Verurteilung von weniger als einem Jahr zugestimmt haben. Wiegands drei Verteidiger wollen indes erneut einen Freispruch erwirken und bieten dafür eine Armada an Zeugen und Gutachtern auf. Bis Dezember sind bereits weitere 16 Verhandlungstage angesetzt - und Wiegand muss auch im fünften Amtsjahr mit dem Makel amtieren, ein unter Anklage stehender Rathauschef zu sein.

Womöglich stachelt ihn das allerdings sogar an. Der 60-jährige Verwaltungsfachmann, der einst der SPD angehörte und ab 2008 schon Beigeordneter für Sicherheit und Sport in Halle war, inszenierte sich als tatkräftiger Macher, der einen scharfen Wind durch die Verwaltung blasen lässt und dabei Widerstand in Kauf nimmt. Als er vor Amtsantritt auf »Gepflogenheiten« im Rathaus hingewiesen wurde, wonach Mitarbeiter von außen nur nach Ausschreibungen eingestellt werden, teilte Wiegand mit, dass er sich »nicht an die Spielregeln halten wolle«, sagte die langjährige Personalratschefin Simona König als Zeugin. Im Gegenzug verweigerte das Gremium den Einstellungen Wiegands mehrfach die Zustimmung. »Das System gilt für alle«, sagt König. Hätte man dem unorthodoxen Vorgehen Wiegands zugestimmt, »hätte sich die Personalvertretung auch gleich ganz abschaffen können«.

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